Schwarz auf Rot
Mordfall sehen?«
»Er war einer von den Verdächtigen auf deiner Liste, wenn ich mich recht entsinne«, erwiderte sie mit einem leicht sarkastischen Lächeln. »Und, bist du jetzt zufri e dengestellt?«
»Jedenfalls steht er nicht länger auf meiner Liste, und was das Frühstück anbelangt, bin ich durchaus zufri e dengestellt.«
Und das stimmte. Das Frühstück hatte für alle drei nur sechzehn Yuan gekostet und war hervorragend gewesen. Außerdem tat es der Familie gut, endlich wieder etwas gemeinsam zu unternehmen.
Nachdem er sich den Mund mit dem Handrücken a b gewischt hatte, lehnte sich Herr Ren zu ihrem Tisch he r über.
Seine Schale war leer. »Du hast dich vielleicht gefragt, warum ich das Schweinefleisch mitgebracht habe.« Er grinste Qinqin an. »Solche Tricks kennt nur ein alter Gourmet.«
»Erzählen Sie bitte, warum Sie das machen«, entge g nete Qinqin.
»Nach dem Mittagsgeschäft verkauft das Restaurant xiao— Schweinefleisch für fünfzig Yuan pro Kilo. Das klingt teuer, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, daß eine Portion zwei Yuan kostet. Wenn man es zu Hause dünn schneidet, ergibt ein Kilo zwischen fünfundsiebzig und achtzig Portionen. Also kaufe ich mir ein halbes K i lo, lege es in den Kühlschrank – einen Kühlschrank muß man natürlich haben – und bringe mir jedesmal ein paar Scheiben mit.«
»Aber so sehr müssen Sie doch gar nicht aufs Geld schauen, Herr Ren«, mischte Yu sich ein, »bei Ihrer …«, das Wort »Abfindung« verschluckte er.
»Um mich brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Hauptwachtmeister Yu. Ein alter Gourmet läßt seinen Magen nicht darben. Übrigens bin ich zu alt für diesen – wie nennt man das? – sichtbaren Konsum. Das xiao— Fleisch , das ich mir selbst mitbringe, schmeckt genauso gut. Der Alte Halbplatz ist ein hervorragendes Lokal. Ich hoffe, Sie bald wieder hier zu treffen.«
»Wir werden bestimmt wiederkommen«, sagte Yu. »Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, müssen Sie mir noch mehr von Ihren Gourmet-Tricks verraten.«
»Besuchen Sie doch auch mal mein Restaurant, Herr Ren«, sagte Peiqin. »Das Vier Meere ist zwar nicht so bekannt, aber wir bieten einige interessante Spezialitäten, und das zu moderaten Preisen.«
»Das Vier Meere ? Davon habe ich schon gehört. Ich werde kommen. Sie können auf mich zählen. Vielen Dank, Peiqin.«
Sie standen auf und wandten sich zum Gehen.
Nahe dem Eingang blieb Qinqin stehen und schaute durch eine Scheibe hinter der Theke in den Küchenb e reich, wo weißgekleidete Köche mit Kochmützen auf ihren Hackblöcken große Stücke xiao— Schweinefleisch flink in hauchdünne Scheiben schnitten. Über ihnen hi n gen an glänzenden Stahlhaken öltriefende Hühner.
»Das ist ja wie bei Zhuangzi«, sagte Qinqin.
»So?« sagte Yu vage, ohne den Zusammenhang zu begreifen. Vielleicht wußte Peiqin, worauf ihr Sohn a n spielte.
Dann bemerkte er Herrn Ren, der, nachdem er das L o kal bereits verlassen hatte, noch einmal umkehrte.
»Haben Sie etwas vergessen, Herr Ren?«
»Nein – das heißt doch, ich habe vergessen, Ihnen e t was zu erzählen.«
»Was denn?«
»Vielleicht ist es ja ganz unwichtig, aber besser, ich sage es Ihnen. Am Morgen des 7. Februar habe ich, als ich das Haus verließ, jemanden vor mir hinausgehen s e hen.«
»Und wer war das?«
»Wan.«
»Aha. Um wieviel Uhr?«
»Das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Etwa um Viertel vor sechs.«
»Sind Sie sicher, daß es Wan war und genau jener Morgen?«
»Ziemlich sicher. Wir stehen uns zwar als Nachbarn nicht gerade nahe, aber immerhin leben wir seit vielen Jahren im selben Haus.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nein, ich rede kaum mit meinen Nachbarn – nach so vielen Jahren als schwarzer Kapitalist.«
»So ging es meinem Vater auch«, mischte Peiqin sich ein. »Er war ebenfalls ein schwarzer Kapitalist. Er ist im Export-Import-Geschäft tätig gewesen.«
»Ja, so etwas versteht nur, wer selbst Jahre der Dem ü tigung erleben mußte. Ich war schon immer schwarz, politisch schwarz, und Wan war schon immer rot«, sagte Ren, und seine Lippen verhärteten sich zu einem bitteren Lächeln. »Natürlich wäre es m öglich, daß auch Wan an jenem Morgen wieder zurückgekommen ist, um den Mord zu begehen, aber das scheint mir doch etwas weit hergeholt.«
»Da haben Sie recht, Herr Ren. Dennoch ist es ein sehr wichtiger Punkt. In seiner Aussage hat Wan nämlich nicht erwähnt, daß er an jenem Morgen früh weggega n gen
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