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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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es gestat-
    tete, die Wände des Schachts, dessen Auszimmerung sich
    noch erhalten, wenn auch da und dort angefault zeigte.
    Beim 15. Absatz, das heißt also auf der Hälfte des Weges,
    machten sie für einige Augenblicke halt.
    »Ich habe eben nicht mehr deine Beine, mein Sohn«,
    sagte der Ingenieur mit einem tiefen Atemzug, »indes, es
    geht doch noch.«
    »Sie sind ja bei guter Gesundheit, Mr. Starr«, erwiderte
    Harry, »bei mir ist es wohl kein Wunder, da ich so lange Zeit
    in der Grube gelebt habe.«
    »Du hast recht, Harry. Als ich auch erst einige 20 Jahre
    zählte, stieg ich mit Leichtigkeit in einem Zug bis hinunter.
    Doch laß uns weitergehen.«
    Aber gerade als sie die weiterführende Leiter betreten
    wollten, ließ sich aus der Tiefe des Schachts eine Stimme
    hören. Sie drang herauf wie eine allmählich anschwellende
    Woge und wurde zunehmend deutlicher.
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    »Nun, wer kommt da?« fragte der Ingenieur, indem er
    Harry zurückhielt.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete der junge Bergmann.
    »Die Stimme deines Vaters ist das nicht?«
    »Nein, bestimmt nicht, Mr. Starr.«
    »Vielleicht also ein Nachbar?«
    »Wir haben keine Nachbarn in der Grube da unten; wir
    sind allein, ganz allein.«
    »Gut, dann lassen wir diesen Eindringling erst vorüber«,
    sagte James Starr. »Nach Bergmannsbrauch haben diejeni-
    gen, die herabsteigen, denen auszuweichen, die emporklim-
    men.«
    Beide warteten.
    Die Stimme erklang jetzt ganz hell und wunderbar
    deutlich, als würde sie in einem ausgezeichnet akustischen
    Raum fortgeleitet, und bald drangen einige Worte aus ei-
    nem bekannten schottischen Lied bis an das Ohr des jungen
    Bergmanns.
    »Das Lied von den Seen!« rief Harry. »Es sollte mich
    wundern, wenn es aus einem anderen Mund, als aus dem
    Jack Ryans käme.«
    »Wer ist dieser Jack Ryan, der so ausgezeichnet singt?«
    fragte James Starr.
    »Ein alter Kamerad aus der Grube«, antwortete Harry.
    Er bog sich etwas über die Leiter vor.
    »He, Jack!« rief er hinab.
    »Bist du es, Harry?« tönte es wieder herauf; »erwarte
    mich, ich komme.«
    Bald hörte man den Gesang von neuem.

    — 52 —
    — 53 —
    Wenige Minuten später erschien in dem Lichtkegel,
    den die Laterne nach unten warf, ein junger Mann von 25
    Jahren, mit offenem Gesicht, lächelnden Zügen, heiterem
    Mund und hellblonden Haaren, und betrat gleich darauf
    den Absatz der 15. Leiter.
    Sofort ergriff er Harrys Hand und bewillkommnete ihn
    durch einen herzhaften Händedruck.
    »Oh, das freut mich, dir noch zu begegnen!« rief er.
    »Beim heiligen Mungo, wenn ich gewußt, daß du heute zur
    Erde hinaufgestiegen bist, hätte ich mir diese Kletterpartie
    in den Yarow-Schacht erspart.«
    »Hier, Mr. James Starr«, sagte Harry, indem er die Laterne
    nach dem halb im Dunkeln stehenden Ingenieur richtete.
    »Mr. Starr«, rief Jack Ryan, »oh, unser Herr Ingenieur, ich
    hätte Sie jetzt nicht wiedererkannt. Seit ich nicht mehr in
    der Grube bin, sind meine Augen ganz entwöhnt, im Halb-
    dunkel zu sehen.«
    »Und ich erinnere mich jetzt eines lustigen Burschen
    von damals, der immer fröhlich sang. Es sind freilich 10
    Jahre darüber hingegangen, mein Sohn! Aber das warst du,
    nicht wahr?«
    »Leibhaftig, Mr. Starr. Wenn ich auch meine Beschäfti-
    gung vertauschte, so habe ich doch den alten Humor behal-
    ten. Ei, lachen und singen ist doch wahrlich besser als jam-
    mern und weinen!«
    »Gewiß, Jack Ryan – und was machst du, seit das Berg-
    werk stillsteht?«
    »Ich arbeite in der Meierei von Melrose, in der Nähe von
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    Irvine, Grafschaft Renfrew, etwa 40 Meilen von hier. Freilich
    in den Bergwerken von Aberfoyle war es besser. Die Spitz-
    haue führte ich leichter als den Spaten und die Egge. Und
    dazu gab es in der alten Grube so viel schöne Echos, wel-
    che die Lieder alle weit besser mitsangen als da oben! ... Sie
    wollen dem alten Schacht einen Besuch machen, Mr. Starr?«
    »Ja, Jack«, bestätigte der Ingenieur.
    »So will ich Sie nicht aufhalten ...«
    »Aber sag mir, Jack«, fragte Harry, »was führte dich denn
    heute herab zu unserem Cottage?«
    »Ich wollte dich besuchen«, antwortete Jack Ryan, »und
    zum Fest des Clans von Irvine einladen. Du weißt, ich bin
    Piper* in dem Ort! Da wird gesungen und getanzt!«
    »Ich danke, Jack, aber es wird mir unmöglich sein.«
    »Unmöglich?«
    »Ja, Mr. Starrs Besuch bei uns könnte etwas länger dau-
    ern, und ich muß den Herrn Ingenieur auch nach

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