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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sprechen hörte, mußte man fast an ihre
    Erzählungen glauben. Es gibt ja für Gnomen, Berggeister
    und Gespenster aller Art kaum eine geeignetere Stätte als
    die dunkle, stille Tiefe eines Bergwerks. Hier war die Szene
    für sie vollständig eingerichtet, warum sollten die überna-
    türlichen Personen versäumen, dort ihre Rolle zu spielen?
    Das war wenigstens der Gedankengang bei Jack Ryan
    und seinen Kameraden in den Bergwerken von Aberfoyle.
    Wie erwähnt, waren die verschiedenen Gruben alle durch
    lange Stollen miteinander verbunden. Der große, von Tun-
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    neln durchsetzte und von Schächten durchbohrte Unter-
    grund der Grafschaft Stirling bildete also eine Art Hypo-
    gäon, ein unterirdisches Labyrinth, das einem ungeheuren
    Ameisenbau ähnelte.
    Die Bergleute der verschiedenen Schächte begegneten
    sich häufig, wenn sie sich zur Arbeit begaben oder davon
    zurückkehrten. Sie konnten ihre Erlebnisse alle leicht ein-
    ander mitteilen, und so pflanzten sich die Märchen aus dem
    Bergwerk von Grube zu Grube fort. Die Erzählungen ge-
    wannen dabei eine wunderbar schnelle Verbreitung, wobei
    sie von Mund zu Mund noch wuchsen, wie das gewöhnlich

geschieht.
    Zwei Männer allein machten infolge ihrer hohen Bil-
    dung und ihres nüchternen Charakters eine rühmliche Aus-
    nahme und ließen sich nirgends zu der Annahme einer Ein-
    wirkung von Berggeistern, Gnomen oder Feen verleiten.
    Das waren Simon Ford und sein Sohn. Sie legten dafür
    ein weiteres Zeugnis ab, als sie, auch nach dem Aufgeben
    der Arbeiten in der Grube Dochart, doch noch in der einsa-
    men Höhle wohnen blieben. Vielleicht hatte die gute Madge,
    wie es bei jeder Bergschottin der Fall ist, einen gewissen
    Hang zum Übernatürlichen. Alle Berichte über Geisterer-
    scheinungen und dergleichen wiederholte sie sich aber nur
    im eigenen Innern, wenn auch mit aller Gewissenhaftigkeit,
    um die alten Traditionen wenigstens nicht zu vergessen.
    Doch selbst wenn Simon und Harry Ford ebenso aber-
    gläubisch gewesen wären wie ihre Kameraden, sie hätten
    auch dann das Bergwerk noch nicht den Genien und Feen
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    überlassen. Die Hoffnung, eine neue Kohlenader aufzu-
    finden, hätte sie dem ganzen phantastischen Gesindel von
    Gnomen Trotz bieten lassen.
    Ihr Glaube konzentrierte sich nur auf den einen Punkt:
    sie konnten nicht zugeben, daß das Kohlenlager von Aber-
    foyle schon vollständig erschöpft sei. Man hätte mit Recht
    sagen können, daß Simon Ford und sein Sohn in dieser
    Hinsicht buchstäblich einen ›richtigen Köhlerglauben‹ hat-
    ten, einen Glauben an Gott, den nichts zu erschüttern ver-
    mochte.
    10 volle Jahre lang, ohne einen ganzen freien Tag, nah-
    men Vater und Sohn, unbeirrt in ihrer Überzeugung, Haue,
    Stock und Lampe zur Hand, gingen aus, nach neuen Schät-
    zen zu suchen, und beklopften jeden Felsen, um zu hören,
    ob er nur einen trockenen oder einen versprechenden Ton
    gab.Da die frühen Sondierungen den Granit der primären
    Formation noch nicht erreicht hatten, blieben Simon und
    Harry Ford bei der Ansicht, daß die heute fruchtlose Un-
    tersuchung es morgen ja nicht zu sein brauche, also rastlos
    wiederholt werden müsse. Ihr ganzes Leben verwendeten
    sie auf die Versuche, den Bergwerken von Aberfoyle ihr frü-
    heres Gedeihen wiederzugewinnen. Sollte der Vater dabei
    unterliegen, bevor ein Erfolg erzielt war, so hätte der Sohn
    dieses Unternehmen allein fortgesetzt.
    Gleichzeitig behielten diese beiden treuen Wächter der
    Kohlengrube auch deren Instandhaltung unentwegt im
    Auge. Sie prüften, ob irgendwo ein Einsturz zu befürch-
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    ten war, ob man den oder jenen Teil dem Verfall überlassen
    sollte. Sie spürten dem Eindringen der Tageswasser nach,
    gruben Abflußrinnen und leiteten sie irgendeinem Schöpf-
    brunnen zu. Mit einem Wort, sie dienten freiwillig, als Be-
    schützer und Erhalter dieser unproduktiven Anlage, aus der
    früher so große, jetzt in Rauch verflüchtigte Reichtümer
    hervorgegangen waren.
    Bei einigen dieser Exkursionen beobachtete besonders
    Harry gewisse auffallende Erscheinungen, zu deren Erklä-
    rung er nicht gelangen konnte.
    Mehrmals, wenn er den oder jenen engen Stollen durch-
    schritt, glaubte er ein Geräusch zu hören, als würde mit ei-
    ner Haue kräftig an die Wand eines Gangs geschlagen.
    Da ihn weder etwas Übernatürliches noch etwas Natür-
    liches erschrecken konnte, hatte sich Harry keine Mühe ver-
    drießen lassen, dieser geheimnisvollen Arbeit

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