Schwarz. Weiß. Tot.: Storys
Marindastraat gestürmt. Florian hatte ihn zwei Mal ins Bein geschossen
und war hinaus in die Nacht entwischt, unauffindbar, um anderswo seine Mordserie fortzusetzen.
October erzählte Pearlie, wie er den Hörer auf die Gabel geknallt und die Akte quer durchs Zimmer gepfeffert hatte. »Und dann
hat sie heute Abend diesen Brief abgegeben«, fuhr er fort und zog den Umschlag aus der Jackentasche.
Pearlie öffnete ihn bedächtig, zog das dünne Papier heraus und las, was dort in zierlicher, hübscher Handschrift stand:
Sehr geehrter Supt. October,
Sie zu beleidigen war wirklich das Letzte, was ich heute Nachmittag wollte. Ich bitte Sie aufrichtig um Entschuldigung für
meine Taktlosigkeit. Ich war nervös, weil ich schon so lange darauf gewartet hatte, endlich persönlich mit Ihnen zu reden,
deswegen habe ich mich so gedankenlos geäußert.
Ironischerweise habe ich Sie nur deswegen zitiert, weil ich felsenfest an Ihre These glaube. Ich bin nämlich der lebende
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Beweis dafür, dass sie stimmt. Und dies ist auch der Grund dafür, dass ich mich ganz bewusst an Sie gewandt habe. Sie sind
der Einzige, der dem Morden ein Ende bereiten kann.
Nochmals: Es tut mir wirklich leid.
C.
Pearlie blickte ihn an und fragte: »Hast du sie gesehen?«
»Nein, sie war zu schnell. Oder ich zu langsam. Ich habe gedacht, es sei Muna.«
Pearlie setzte sich langsam auf, legte den Brief beiseite und ergriff seine Hände. »John«, sagte sie, und er wusste, dass
sie ihm etwas Ernstes mitteilen wollte. »Ich kann nachempfinden, wie du dich heute Nachmittag gefühlt haben musst. Aber ich
glaube ihr, und ich bin genau derselben Meinung wie sie. Mehr noch: Ich glaube, das ist deine Chance, die Sache mit Florian
endlich wiedergutzumachen.« Dann fuhr sie ruhiger fort: »Bitte, mein Herz. Gib ihr eine Chance. Gib dir selbst eine Chance,
denn du hast es verdient.«
Er sah seine Frau an, die hübschen Rundungen ihres Gesichts, die großen, dunklen Augen, die Liebe und das Mitgefühl, das aus
ihrem Blick sprach. Er dachte daran, wie schwierig das Zusammenleben mit ihm in den letzten elf Jahren gewesen sein musste.
Nein, er wollte dies nicht für sich tun, er war ein hoffnungsloser Fall. Er musste es für sie tun. Für seine Pearlie, die
soviel Geduld bewiesen und es die ganze Zeit mit ihm ausgehalten hatte.
Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie zärtlich auf die Stirn. »Ich tu’s«, sagte er. »Ich tu’s.«
|147| Er erledigte seine Arbeit mechanisch und wartete den ganzen Vormittag auf das Klingeln des Telefons.
Sie sind der Einzige, der dem Morden ein Ende bereiten kann.
Das konnte nichts anderes heißen, als dass Hayward und Holtzhausen nur der Anfang gewesen waren. Es musste eine Verbindung
zwischen ihnen bestehen, sie mussten Teil eines Prozesses, einer Serie sein. Zur Teezeit nahm er sich wieder den Ordner vor,
suchte Zusammenhänge, fand aber keine.
Ich bin der lebende Beweis
, hatte die Frau geschrieben. Aber wovon? Von seiner These, dass man kraft seines Geistes Dinge ins Rollen bringen konnte?
Daran glaubte er schon lange nicht mehr.
Ich war nervös …
Warum? Schwebte sie in Gefahr? Hatte sie etwas mit den Verbrechen zu tun? War sie vielleicht die Mörderin?
Sie rief nicht an.
Um kurz nach drei war er mit seiner Arbeit fertig und setzte sich erneut an den Ordner. Sorgfältig las er die Unterlagen durch,
von vorne bis hinten. Ihm wurde immer klarer, dass dieser Fall Fleißarbeit erforderte und Zeit, die er eigentlich nicht entbehren
konnte. Um halb vier fand er die Telefonnummer von Haywards Firma und rief dort an. Er wurde drei Mal weiterverbunden, ehe
er jemanden am Apparat hatte, der ihm seine Frage beantworten konnte. »Nein«, sagte der Mann. »Wir haben noch nie die Kanzlei
Holtzhausen & Finch bei unseren Transaktionen hinzugezogen.«
Doch irgendeine Verbindung musste es geben!
Um Viertel vor vier läutete das Telefon.
»John October.«
»Superintendent, bitte, das mit gestern tut mir ja so |148| leid …« Dieselbe Stimme, dasselbe Flüstern, als habe sie Angst, das Gespräch würde belauscht.
»Nein, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
»Nein, nein …« Erleichterung sprach aus ihrer Stimme. »Ich habe alles falsch gemacht.«
»Schwamm drüber«, sagte er. »Wir sollten lieber über diese … Vorfälle reden. Sie behaupten also, es sei Mord gewesen.«
»Ich bin mir ganz sicher.«
»Woher wissen Sie das?«
Sie schwieg einen
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