Schwarz wie Samt
Jahre alt geworden und hatte weder Frau noch Kinder gehabt. Wenn er auch versucht hatte, mir mein Erbe streitig zu machen, ich hatte ihn nicht dafür hassen können. Schließlich war es auch sein Vater gewesen und seine Beziehung zu ihm war letztlich enger gewesen als meine, die ja nie real stattgefunden hatte.
Dass mein Vater mich trotzdem geliebt hatte und sich um mich gesorgt hatte, war mir noch sehr fremd. Für mich war er immer nur der fremde Onkel gewesen, der in Berlin als Hotelbesitzer ein unbeschwertes Leben geführt hatte. Dass es in Wirklichkeit ganz anders gewesen war, hatte ich erst vor kurzem durch meine Mutter erfahren.
Ich war etwas enttäuscht, dass Marek tatsächlich nicht zur Beerdigung erschienen war. Ich hätte es schon erwartet nach all den Jahren enger Bandmitgliedschaft. Aber Marek hatte wohl genug Gründe, es nicht zu tun. Er hatte es auch gestern nur bei Andeutungen bewenden lassen und ob ich jemals die ganze Wahrheit erfahren würde, erschien mir immer unwahrscheinlicher.
Frau Koch hatte sich zurückgelehnt und sagte nichts mehr. Als ich sie vor dem Hotel absetzte, nahm sie ihren Hut ab und sagte: „Willst du nicht einen Kaffee mit mir trinken?“, doch ich bedankte mich und erklärte ihr, dass ich noch in der Stadt zu tun hätte.
Die Arztpraxis von Dr. Garimba war bereits leer, als ich dort ankam. Eine Angestellte, die anscheinend extra noch da geblieben war, winkte mich, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken, ins Sprechzimmer. Dr. Garimba stand hinter seinem Schreibtisch auf und lächelte mich etwas verlegen an, dann sagte er: „Bitte setzen sie sich!“.
Umständlich holte er eine Mappe mit Röntgenbildern und Listen aus seiner Schublade und legte sie vor sich bereit. Nach mehrmaligem Räuspern, begann er zu sprechen. Er sah mir zunächst in die Augen und dann schweifte sein Blick zum Fenster hinaus. Seine Stimme war brüchig und erinnerte mich an die Stimme eines alten Mannes. Dr. Garimba war höchstens dreißig Jahre alt.
Die Worte kamen ihm zögernd über die Lippen und ich verstand nur: „Krebs, fortgeschrittenes Stadium, befallene Lymphknoten, Operation, Bestrahlung, Chemotherapie. Es kam ein nicht enden wollender Strom von schrecklichem Medizinerlatein aus seinem Mund, das ich erstens kaum verstand und zweitens nur unzusammenhängend wahrnahm. Er zeigte immer wieder auf die inzwischen aufgehängten Röntgenbilder und die Werte der Untersuchungen.
Als er endlich mit seinem Vortrag zu Ende war, sah er mich erwartungsvoll an, doch ich saß stumm vor ihm, unfähig auch nur einen Laut von mir zu geben. Bei mir war nur eine Botschaft angekommen: die Tatsache, dass ich Krebs im fortgeschrittenen Stadium hatte. Seine Therapievorschläge, die er mir unterbreitet hatte, konnte ich im Moment nicht vollständig erfassen.
Um überhaupt etwas zu sagen, begann ich: „Aber bei der letzten Untersuchung waren es doch nur ein paar veränderte Zellen und jetzt soll es plötzlich viel schlimmer sein?“ Dr. Garimba senkte den Blick auf die vor ihm liegenden Schriftstücke und antwortete:
„Ich weiß, dass diese Diagnose für sie überraschend kommt, aber wenn wir nicht sofort etwas unternehmen, wird sich die Krankheit weiter ausbreiten und dann...“ Er führte den Satz nicht zu Ende, aber ich hatte ihn ohnehin verstanden.
Wenn ich in der letzten Zeit auch versucht hatte, die Angst zu vergessen, war es mir nicht ganz gelungen. Meine Gewichtsabnahme, das Ziehen im Rücken und der angeschwollene Bauch, auch wenn ich wenig gegessen hatte, waren mir schon aufgefallen. Ich hatte es auf Unpässlichkeiten geschoben oder auf zu starken Alkoholkonsum. Auch meine wahnsinnige Vorliebe für Schokolade hatte ich dafür verantwortlich gemacht. Dass ich plötzlich eine derart vernichtende Diagnose erhalten würde, damit hatte ich trotzdem nicht gerechnet.
Er sagte, indem er sich erhob und nochmals auf die Röntgenaufnahme hinter seinem Sessel zeigte: „Wann können Sie in die Klinik kommen?“
Meine Stimme klang fremd, als ich antwortete: „Schon übermorgen.“ Als ich mich in mein Auto setzte, zitterten meine Beine und ein kalter Schauer rann mir den Rücken hinunter. Dr. Garimbas mitleidiger Blick verfolgte mich. Er hatte mich angesehen, wie ein schwer verwundetes Tier. Wie ein Reh, das vom Jäger getroffen aber noch nicht ganz erlegt worden war.
Ich fuhr sofort nach Hause. In meinem Schlafzimmer setzte ich mich erst einmal auf mein Bett und starrte die Wand an. In meinem Kopf ging es wild
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