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Schwarz

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Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nach Hause. Albert glich einem Uhrwerk. Manchmal hatte Betha den Verdacht, dass er irgendwo in der Nähe wartete oder einen zusätzlichen Spaziergang machte, um ja nicht zu früh daheim zu sein. Sie hatten vor fünfundzwanzig Jahren geheiratet und waren im Laufe der Jahre miteinander verwachsen. In Alberts Gesellschaft brauchte sie nicht irgendeine Rolle zu spielen und nicht einmal die Rettungsringe um ihre Hüften zu verbergen.
    Betha kostete vorsichtig den heißen Yunnan-Tee mit Honig und Zitrone, setzte sich bequem hin und schlug den Bericht über Nazir auf. Sie würde es noch schaffen, ihn durchzusehen, während sie auf den Klempner wartete.
    »Die frühesten Artikel, die dem Kommunikationshauptquartier zur Kenntnis gelangt sind, schrieb das Pseudonym Nazir 1996. Diese über einen Server in Uganda an ein sudanesisches Chat-Forum geschickten Nachrichten sind von ihrem Inhalt her uneinheitlich und eher Gefühlsausbrüche als kritische Meinungsäußerungen zu bestimmten Themen. Schon in diesen Beiträgen
wurden neben den westlichen Ländern auch den UN, dem Währungsfonds und der Weltbank vorgeworfen, die Staaten Ostafrikas systematisch zu unterdrücken. Anhand des Vergleichs der ersten Artikel Nazirs mit seinen späteren Veröffentlichungen im Internet schätzen wir sein jetziges Alter auf zweiunddreißig bis neununddreißig Jahre. Aufgrund des Inhalts und der sprachlichen Ausdrucksform erscheint es offensichtlich, dass Nazir ein Mann mit einer guten Ausbildung und ziemlich wohlhabend ist.«
    »Nazirs erste Nachrichten enthalten weder Hinweise darauf, was der Auslöser für den Wunsch war, seine Meinung zu veröffentlichen, noch darauf, was seinen Hass gegen die UN, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank entfacht hat. Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1996 in Afrika waren die Wahl des Ghanaers Kofi Annan zum UN-Generalsekre
tär
, der Militärputsch in Niger sowie Osama bin Ladens Ausweisung aus dem Sudan.«
    »Im Jahr 2000 legte Nazir seine programmatische Erklärung vor, das

Weißbuch‹, das den Untertitel

Probleme der Macht und des Wohlstands in Ostafrika

trägt. Es ist ein umfassender Überblick über die Gründe für die Armut, die Hungersnöte, die Kriege und das Versagen der Volkswirtschaften in den Staaten Ostafrikas. Nazir fordert die Zerschlagung der Ausbeutungspolitik des Westens und sieht die Schuldigen für die Probleme Ostafrikas ausschließlich im Ausland: Seiner Ansicht nach legen der Währungsfonds und die Weltbank die Staaten Afrikas absichtlich an die Armutsfessel, indem sie unsinnig hohe Kredite gewähren, die von diesen Staaten nicht zurückgezahlt werden können. Die Entwicklung einer eigenen Industrie und Unternehmenstätigkeit in Ostafrika wird dadurch verhindert, und die Bodenschätze dieser Staaten werden mittels der Kreditbedingungen gestohlen, denn die schreiben fast ausnahmslos vor, dass mit den Krediten die Leistungen der multinationalen Konzerne in den Entwicklungsländern bezahlt werden müssen. Laut Nazir besteht die einzige Rettungsmöglichkeit für die Länder Ostafrikas darin, dass sie sich zu islamischen Staaten erklären und die Zusammenarbeit mit dem Westen und seinen Institutionen aufkündigen.«
    »All die wirtschaftlichen und politischen Machthaber und die herrschenden Cliquen, von denen sich die Länder Ostafrikas befreien sollten, werden in dem Weißbuch beim Namen genannt, und natürlich wurde es in der ganzen Region, für die es bestimmt war, sofort auf den Index gesetzt. Die dreitausend Exemplare der ersten Ausgabe des Buchs wurden im Sudan, in
Uganda, Äthiopien, im Tschad, in Kenia, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik verteilt. Ironischerweise verbreitete sich das Buch in den Staaten der Sahel-Zone vor allem deshalb sehr schnell, weil die größten Zeitungen der Region sein Verbot auffällig auf ihren Titelseiten verkündeten. Die Geheimdienste der ostafrikanischen Staaten versuchten alle Kopien des Weißbuchs aufzukaufen, aber die Botschaft hatte sich schon verbreitet, und die Kopiergeräte liefen auf Hochtouren.«
    »Die heftigste Kritik Nazirs richtet sich von Anfang an gegen die Vereinten Nationen. Er beschuldigt die UNO, dass sie den Völkermord in Ruanda und die Hungersnot in Darfur zugelassen hat, er wirft ihr Korruption, Spekulation mit der Lebensmittelhilfe und Kindesmissbrauch in den Flüchtlingslagern vor, die Liste ist endlos lang. Nach der Veröffentlichung des Weißbuchs hat sich der Ton der Beiträge Nazirs

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