Schwarz
heraus, überflog es und wusste genau, was sie suchte.
Der Patient hat sich offenbar physisch gut von seiner Kopfverletzung erholt, jedoch nicht von den psychologischen Auswirkungen seiner Verletzung und des Verlustes seiner Familie … Der Patient verhält sich anderen Menschen gegenüber gleichgültig, Kontakt hält er nur zu zwei oder drei Freunden, und in seiner Freizeit zieht er sich meist in die Welt der Filme zurück … Er spricht nicht gern über alltägliche Dinge und zeigt seinen Frust sofort, wenn er an einem Gespräch teilnehmen muss, das seiner Ansicht nach schleppend oder geistlos verläuft … Das anmaßende und aggressive Verhalten des Patienten sowie die mangelnde Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlsäußerungen anderer beeinträchtigen seinen Alltag … Ursache für das impulsive und aggressive Verhalten ist wahrscheinlich die Frontallappenverletzung des Patienten … Soziopathische Charaktere zeigen, wenn sie zornig werden oder in Wut geraten, ihre Gefühle nicht, während dieser Patient sie nicht unterdrücken kann …
Betha gelangte ans Ende des Gutachtens, ohne zu finden, was sie suchte. Es war genau so, wie sie es auch in Erinnerung hatte – nicht einmal die Fachleute hatten jemals behauptet, dass Leo sich selbstzerstörerisch verhielt.
***
Der Morgennebel löste sich allmählich auf, die Temperatur war über Nacht bis fast auf null gesunken, aber jetzt wärmte die Sonne schon angenehm. Dunst schwebte wie ein dünner Schleier in der Luft, und die Menschen, die zur Arbeit eilten, schien der Frühling zu beleben. Kati Soisalo saß in ihrem Smart am Rand der kleinen Holzhaussiedlung von Marttila in Pitäjänmäki, an einer Stelle, wo sie den Hof des Eigenheims von Jukka Ukkola einsehen konnte. Es war schon kurz vor neun, aber erstaunlicherweise hatte er das Haus noch nicht verlassen. Kati Soisalo war nervös und müde. Zuerst hatte sie erwogen, jemanden vom MC Black Angels als Unterstützung zu engagieren, der Präsident des Motorradclubs war ihr einen Gefallen schuldig, weil sie ihn in einem Fall von Körperverletzung vertreten hatte. Doch sie hielt es für sicher, dass Ukkola den Besuch der nicht eben elfengleichen Biker in seinem Haus bemerken würde, und hatte deshalb den Gedanken wieder fallenlassen. Sie selbst hingegen würde keinerlei Einbruchspuren hinterlassen, sie kannte das Haus wie ihre Westentasche. Leider.
Mehr Informationen über Sibirtek bekäme sie nur, wenn sie bei Ukkola einbrach, sie besaß immer noch die Schlüssel zu ihrem früheren gemeinsamen Heim. Ukkola wollte sie ja zwingen, zu ihm zurückzukehren, warum hätte er also seine Schlüssel verlangen sollen? Kati Soisalo wusste, wo Ukkola seine wichtigsten Unterlagen aufbewahrte.
Plötzlich tauchte aus der Öffnung in der Weißdornhecke der schwarze Volvo auf und fuhr auf die Mottitie. Kati Soisalos Puls raste. Als Ukkolas Wagen nicht mehr zu sehen war, stieg sie aus ihrem Smart aus und hastete im Laufschritt zu dem Haus, in das sie eigentlich nie mehr zurückkehren wollte, so hatte sie es damals feierlich beschlossen. Hier sah alles noch genauso aus wie vor zwei Jahren. Sie konnte nur hoffen, dass Ukkola die Schlösser nicht doch hatte auswechseln lassen.
Auf dem Hof hinter dem anderthalbstöckigen Holzhaus, das sein Vater einst als Kriegsveteran erbaut hatte, roch es nach altem Laub, offenbar gehörte das Harken immer noch nicht zu Ukkolas Hobbys. Der Anblick des unter Blättern begrabenen Sandkastens und der Schaukel Vilmas war für Kati schrecklich, sie sah das Mädchen vorsich, wie es fröhlich spielte. Vor der Kellertür blieb sie stehen, holte den Schlüsselbund aus der Tasche und bemerkte, dass ihre Hand zitterte, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Das war ihr erster Einbruch.
Der Schlüssel passte, und Kati Soisalo entspannte sich etwas, sie hatte den ganzen Tag Zeit, Ukkolas Sachen zu durchsuchen. Im Keller roch es muffig, es dauerte eine Weile, bis ihr wieder einfiel, wo sich der Lichtschalter befand. Sie stieg die knarrende Holztreppe hinauf ins Erdgeschoss, schaute sich in der Diele um und fuhr zusammen, denn plötzlich wurden die Erinnerungen wach. Als Vilma gelernt hatte herumzukriechen und es dann sogar schaffte, diese Schwelle zu überwinden, hatte sie vor Freude gejauchzt. Und dort hatte das Mädchen seine ersten unsicheren Schritte gemacht. Dann erblickte Kati die Sammlung japanischer Schwerter und Messer, und nun überkamen sie widerliche Erinnerungen an Ukkola. Rasch stieg sie ins
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