Schwarz
Friedens. Sie betreiben die Demokratisierung des Sudan, arbeiten für die Lösung der Konflikte zwischen dem Nord- und dem Südsudan und sind der Tätigkeit ausländischer Unternehmen im Sudan gegenüber positiv eingestellt. Ich übertreibe keineswegs, wenn ich sage, dass die westlichenLänder Sie gern an der Spitze des Sudan sähen, wenn Präsident al-Bashirs … Amtszeit zu Ende ist.«
Urplötzlich zog Rashid Osman einen in seinem Gewand versteckten riesigen Stahlnagel hervor und hob ihn hoch, so dass er nur eine Handbreit vom Gesicht der Botschafterin entfernt war. »Dieser Nagel hat mir 1990 im Flüchtlingslager Itang in Äthiopien das Leben gerettet. Ich war fünfzehn, als Kämpfer der SPLA meine Schwester und meine Mutter vergewaltigt und dann genau wie meinen Bruder umgebracht haben. Ihr aus dem Westen könnt die Situation im Sudan nicht verstehen. Wir brauchen eine Veränderung. Und ich werde sie in Gang bringen.«
Der junge Botschaftssekretär, der gerade Mangosaft trank, verschluckte sich, und Botschafterin Cliff starrte Vizepräsident Osman schockiert an. Was war hier los? Dieser Mann, ein Musterbeispiel für diplomatisches Benehmen, der Favorit des Westens für den Posten des sudanesischen Präsidenten, hielt ihr einen Nagel vors Gesicht und wirkte gar nicht wie ein kultivierter Akademiker, sondern eher wie ein fanatischer Islamist.
Osman legte den Nagel auf den Tisch. »An den Problemen des Sudan sind die westlichen Länder schuld. Ich erzähle Ihnen nun, auf welche Weise man einen armen Staat wie den Sudan, ein Entwicklungsland, wie Sie sagen würden, dazu zwingt, Sklave des Westens zu werden.
Die Schlüsselrolle spielt in der Regel der Berater irgendeines großen westlichen Unternehmens, sagen wir, eines Bau- oder Ölkonzerns oder eines Konzerns, der Kraftwerke liefert, wie beispielsweise General Electric, Halliburton, Exxon, Texaco oder die Carlyle Group. Am besten beschreibt einen solchen Berater der englische Terminus ›economic hitman‹. Um die Leistungen seines Unternehmens zu verkaufen, verspricht der Berater dem Entwicklungsland, dafür zu sorgen, dass es internationale Kredite in einem riesigen Umfang erhält. Der Berater überzeugt die Führung des Entwicklungslandes mit allzu optimistischen Berechnungen, die besagen, dass es dem Land leichtfallen wird, seine Schulden zurückzuzahlen. Auch die Beliebtheit der politischen Führung des Landes werde, so behauptet der Berater, enorm steigen, wenn für das Volk Straßen, Schulen, Krankenhäuserund Fußballstadien gebaut würden. Der Kredit wird natürlich bei Banken aufgenommen, die von den westlichen Ländern kontrolliert werden, beim IWF und bei der Weltbank, und mit dem Geld werden Leistungen bei westlichen Unternehmen gekauft. Der größte Teil der Kreditsumme, die das Entwicklungsland erhält, verlässt die westlichen Länder also nicht einmal.«
»Sie haben doch in einem Interview mit ›The Economist‹ kürzlich selbst zugegeben, dass der Sudan ohne die Hilfe westlicher Unternehmen nicht in der Lage ist, Ölraffinerien oder Wasseraufbereitungsanlagen zu errichten«, entgegnete die Botschafterin und machte eine hilflose Geste mit den Armen.
Osman runzelte die Stirn, beugte sich vor und wies sie ungehalten zurecht: »Der Kern der Geschichte kommt erst noch. Hören Sie zu.
Die nächste Aufgabe des Beraters bringt die Großmachtpolitik ins Blickfeld. Wenn der Kredit gewährt ist, wartet der Berater nämlich darauf, dass das Entwicklungsland in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Und meistens passiert das auch, weil er dem Land einen viel zu hohen Kredit besorgt hat. Danach bietet der Berater dem Land Erleichterungen bei der Abzahlung der Schulden an, natürlich erfordert das eine kleine Gegenleistung. So erreicht man etwa, dass das Entwicklungsland in der UNO ein bestimmtes Abstimmungsverhalten an den Tag legt, die Errichtung eines ausländischen Militärstützpunkts auf seinem Territorium erlaubt, seine Ressourcen westlichen Unternehmen überlässt oder die Zusammenarbeit mit bestimmten Staaten meidet. In dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass das in Zahlungsschwierigkeiten geratene Entwicklungsland nicht bereit ist, so zu handeln, wie es der Westen will, wird das Land mit Waffengewalt überredet. Und wenn auch das nicht hilft, wird das ganze Land erobert und besetzt.«
Botschafterin Cliff zupfte nervös an ihrem Seidentuch. »Entschuldigung, aber Ihre kritische Einstellung überrascht mich doch sehr.«
Osman überging ihren Einwurf.
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