Schwarz
sudanesischen Pass. Alle Versuche, ihn für seine Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen, sind bisher gescheitert, zu viele
Staaten befürchten, dass nach einer Verhaftung Sokolows ihre Geheimnisse aufgedeckt werden.
Derzeit arbeitet Sokolow im Auftrag zumindest von Nordkorea und Süd-Ossetien sowie einer Stiftung namens Sibirtek.
Kara fuhr zusammen, als sein Handy einen schrillen Weckton von sich gab. Es war Zeit loszugehen. Er zog ein Hemd und ein Leinensakko an und überlegte, was wohl geschehen würde, wenn dem Witwenmacher klarwurde, dass er nicht Ewan Taylor war. Über manche Dinge sollte man lieber gar nicht erst nachdenken, das wusste er besser als jeder andere.
Es war auch Zeit, das Medikament zu nehmen. Er holte aus dem Badezimmer die Dose mit dem Dialar, zögerte einen Augenblick, teilte dann eine Tablette und steckte eine Hälfte in den Mund. Das musste genügen, es war besser, nicht übermäßig gelassen zu sein, wenn man den Witwenmacher traf. Das Beruhigungsmittel half Kara, sich selbst zu beherrschen. Diesmal wusste er ausnahmsweise bereits im Voraus, dass er womöglich schon bald in Schwierigkeiten geraten würde. Die Tranquilizer wirkten nicht direkt, und er wusste in der Regel nicht vorher, wann der Augenblick kam, in dem er explodierte. Es war allerdings auch nicht gerade verlockend, ständig ganz benommen durch die Gegend zu taumeln.
Zum Glück ließ ihn der Polizeichef Górski nicht bewachen, überlegte Kara, während er die Flure des UN-Hauptquartiers entlangging und sich dabei verstohlen umschaute. Er verspürte nicht das geringste Schuldgefühl, als er das Hauptquartier verließ und damit gegen einen ausdrücklichen Befehl des Generaldirektors des UNODC verstieß. Das Taxi wartete etwa zweihundert Meter vom Eingang entfernt. Kara stieg ein, nannte die Adresse und bemerkte, wie der Fahrer, der einen Turban trug, den Innenspiegel des Corolla so einstellte, dass er sein Gesicht sehen konnte. Je länger die Fahrt dauerte, umso größer wurden Karas Befürchtungen. Niemand wusste, wohin er fuhr; wenn etwas schiefging, hatte also niemand eine Ahnung, wo man ihn suchen sollte. Aber wem hätte er von seinem Vorhaben erzählen sollen, da Generaldirektor Birou ihm doch verboten hatte, das Hauptquartier zu verlassen, und Polizeichef Górski ihn anscheinend für den Mörder Ewans hielt?
In der Nähe der Villa des Witwenmachers bezahlte er das Taxi und trat in die brütende Abendhitze. Das ziemlich moderne Wohngebiet von Al-Amarat galt nach Khartoumer Maßstäben als sicherer Ort für Leute aus westlichen Ländern. Er ging langsam um den riesigen, zweigeschossigen cremefarbenen Bau herum. Die Fenster waren vergittert, auf dem Dach befand sich ein Hubschrauberlandeplatz, und die vier Meter hohe Mauer krönte ein Stacheldrahtdickicht; das Haus sah aus wie ein Armeegebäude oder der oberirdische Teil eines Bunkers. Er trat vor den Haupteingang und entdeckte sechs Überwachungskameras. Das Haus wirkte verlassen. Kara nahm all seinen Mut zusammen und ging seinen Plan noch einmal durch, sofern man das als Plan bezeichnen konnte. Er wollte sich als Ewan Taylor vorstellen und von den Raketen erzählen, die der Witwenmacher in den Sudan geschmuggelt hatte. Vielleicht würde die Reaktion oder das Verhalten des Mannes verraten, ob er etwas von Ewans Tod wusste. Danach müsste er sich durch das Gespräch lavieren, je nachdem wie das Treffen verlief.
Besorgt spürte er, wie die Wut in ihm hochstieg. Hatte er doch eine zu kleine Dosis genommen? Beim Witwenmacher musste er es schaffen, seinen Jähzorn zu unterdrücken, er durfte den Todeshändler nicht verärgern, schließlich war der ein Profi auf dem Gebiet des Tötens. Er drückte den Klingelknopf, griff nach der großen Klinke und stolperte nach vorn, denn die Eisenpforte ging auf. Das Tor war nicht verschlossen.
Hier stimmte etwas nicht, warum sah man keine Bodyguards? Der Witwenmacher war einer der meistgesuchten Kriminellen der Welt und nahm es nach Presseinformationen auf paranoide Weise sehr genau, wenn es um seine Sicherheit ging. Kara rief, erst vorsichtig, dann laut. Falls das Tor etwa versehentlich offen geblieben war, wollte er nicht als Einbrecher erschossen werden. Langsam ging er zum Haupteingang und blickte dabei unauffällig zu den Fenstern der Villa und in den Innenhof. Aus dem Haus waren keine Geräusche zu hören, sosehr er auch auf den Klingelknopf drückte, anklopfte und Hallo rief. Er griff nach der Klinke und war erneut überrascht, als
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