Schwarz
die Scharniere knarrten und die Tür sich öffnete. Niemand war zu sehen. Keine Wachhunde, keine Leibwächter, keinWitwenmacher. Das Haus war verlassen. Seine Anspannung ließ nach. War der Witwenmacher wegen des Mordes an Ewan aus dem Sudan geflohen, bewies das seine Schuld, oder verriet es einfach nur, dass ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war?
Kara schaute sich in der Eingangshalle um, die von einem großen Treppenaufgang beherrscht wurde: ein Spiegel mit goldenem Rahmen, eine chinesische Vase, ein Perserteppich … Die Wohnung stank geradezu nach Geld. An einer Wand waren kleine Modelle von Panzern, Marschflugkörpern und Maschinengewehren zur Schau gestellt. Mit einem Mal roch es verbrannt, und von oben war ein metallisches Geräusch zu hören, als würde ein gebogenes Blech knallen. Kara stieg die Treppe hinauf, rief dabei Ruslan Sokolows Namen und spürte seinen dröhnenden Pulsschlag im ganzen Körper. Im Obergeschoss gab es ein halbes Dutzend Türen, eine davon stand einen Spalt offen, durch den man ein flackerndes Licht sah, irgendetwas knisterte, und Kara fühlte, wie die Temperatur stieg – ein Feuer! Mit einem Tritt stieß er die Tür auf.
Im Arbeitszimmer des Witwenmachers war alles durchwühlt worden, auf dem Fußboden brannte ein Papierhaufen, die Flammen loderten auf dem großen Afghanenteppich nur einen Meter von den Gardinen entfernt – und daneben lag ein Mann. Kara hastete zum Witwenmacher, der auf dem Bauch lag, und erstarrte, als er das Genick des Mannes erblickte: Es sah so aus, als hätte jemand versucht, ihm den Kopf abzuschneiden. Erschüttert und voller Abscheu wandte er sich ab. Die Feuersäulen wurden immer größer. Kara verbrannte sich die Hände, als er nach den Unterlagen griff, er bekam einen Stapel zu fassen und schüttelte ihn, um die Flammen zu löschen.
Die Quittung für ein gechartertes Flugzeug … eine Aufstellung der Unterhaltungskosten für die Villen des Witwenmachers … ein Organigramm des georgischen Verteidigungsministeriums … Er wühlte in dem Stapel, drehte und wendete Blätter, fand aber nichts, was mit den Marschflugkörpern zusammenhing. Dann fiel sein Blick auf einen Stahlschrank mit aufgebrochenen Schlössern, dessen Inhalt herausgefallen war. Er hockte sich hin, las in den Unterlagen hier und da eine Zeile, bis er eine Notizbuchseite entdeckte. Karaüberflog die Liste der Teile von Marschflugkörpern, verstand bei all den technischen Fachausdrücken kein Wort, fand aber schließlich, was er suchte – den Begriff Globeguide.
»Die Teile der neuen Raketen bis zum 31. 3. nach Khartoum liefern, die Globeguides spätestens am 15. 4. Montage der Raketen durch den Hersteller.«
Urplötzlich huschte ein Schatten über die dunkle Fläche des großen Fernsehers. Kara drehte sich rasch um und sah, wie eine Gestalt in einem grünen Overall mit Kapuze, Atemschutz und Schutzbrille auf ihn zukam. Er hob die Fäuste vors Gesicht, und der Schlag krachte auf seine Handgelenke. Kara schwankte, konnte den Angreifer aber packen und zerrte an dem Stoff. Der Mann versetzte ihm einen Tritt. Kara ließ los, schützte seinen Bauch mit den Armen und schlug sofort wütend zu. Der wuchtige Schlag traf seinen Gegner am Kopf, aber der wankte nicht einmal. Kara sah nur einen kleinen Teil seines Gesichts. Er warf sich auf den Angreifer, stieß ihn mit dem Kopf gegen die Brust und stürzte zu Boden, als wäre er gegen eine Betonmauer gerannt. Dann blitzte etwas auf, und ein Messer drang bis zum Griff in seinen Handteller ein. Kara schrie vor Schmerz auf, krümmte sich reflexartig zusammen und sah, dass der Messermann so leicht wie ein schwebendes Blatt durch das offene Fenster verschwand. Die Flammen leckten schon an Karas Füßen. Verdammt, was war das denn für eine Erscheinung gewesen?
Die Wunde blutete immer stärker, als er die Treppe hinunterwankte und schweißgebadet das Haus verließ. Mit seiner gesunden Hand zog er das eiserne Tor auf, trat auf die Straße hinaus und wäre um ein Haar mit Oberst Abu Baabas zusammengestoßen. Dann traf Kara der Kolben einer Maschinenpistole, und um ihn herum wurde es dunkel.
5
Freitag, 24. April – Samstag, 25. April
Leo Kara wachte auf und öffnete die Augen, doch die Dunkelheit wollte nicht weichen. Die Hand und der Kopf taten ihm weh, er spürte den eiskalten Betonfußboden auf der nackten Haut, und es stank widerlich nach hartnäckigem Schmutz und Kot. Aus der Erinnerung tauchten Bilder auf: brennendes Papier, der
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