Schwarz
Angreifer, die Flucht, der sudanesische Oberst … Fragen schossen ihm durch den Kopf und leuchteten auf wie Feuerwerkskörper. Wo befand er sich, warum lag er nackt auf dem Boden, warum war seine Hand verbunden? Panik kündigte sich an, alles andere hielt er aus, nur keine finsteren Zellen.
Kara richtete sich auf und entdeckte auf dem Fußboden einen schmalen Lichtstreifen. Vorsichtig tastete er sich an der Wand entlang, fand eine Stahltür und versuchte vergeblich, sie zu öffnen. Er lauschte an der Tür und hörte eine wütende Stimme und eilige Schritte. Der Oberst mit dem schiefen Hals dachte doch nicht etwa, dass er den Witwenmacher ermordet hatte? Wieder drängte ein Bild aus der Erinnerung in sein Bewusstsein: das Profil des Messermanns im grünen Overall, oder genauer gesagt ein kleiner Teil davon, denn die Haare und das Gesicht waren durch die Schutzbrille, die Kapuze und den Atemschutz verdeckt gewesen.
Seine Sorgen wurden noch größer, als ihm Fakten aus dem Bericht des polnischen Polizeichefs über Oberst Baabas und
Al-amn al-ijabi
einfielen. Gleich zu Beginn der Darfur-Krise im Oktober 2002 hatte sich Baabas als Anführer von Angriffen der Fursan, berittener arabischer Kämpfer vom Stamm der Beni Halba, gegen Zivilisten des Stamms der Fur in Süddarfur den Ruf erworben, besonders unbarmherzig vorzugehen. Die Fursan unter Baabas hatten die Dörfer kurz vor dem Morgengrauen überfallen. Die Männer wurden umgebracht, die Frauen vergewaltigt, die Kinder entführt, die Gebäudeund Felder niedergebrannt, das Vieh gestohlen, alles zerstört. Den Beinamen
Al-Sikha
, die Eisenstange, hatte Baabas bekommen, weil er Zivilisten und Gefangene oft mit einem Stück Armierungseisen schlug.
Nach dem Ende der schlimmsten Gewalttätigkeiten in Darfur hatte Baabas also wirklich eine Arbeit gefunden, für die er geeignet war. Laut Amnesty folterte
Al-amn al-ijabi
, der Aktive Nachrichtendienst, fast all seine Gefangenen systematisch. Kara wusste, dass er in diesem Loch nicht lange durchhalten würde. In solchen Gefängnissen war es auch ohne Folter lebensgefährlich, denn man bekam zu selten und zu wenig Wasser und Essen, Krankheiten breiteten sich rasend schnell aus, waschen durfte man sich nicht, und es fehlte an Medikamenten. Die größte Angst hatte Kara jedoch vor sich selbst, davor, dass seine Psyche dieses finstere Loch nicht ertragen würde.
An einen derart üblen Ort war er bislang nur einmal geraten, als vierzehnjähriger unsicherer Teenager. Die grauenhaften Erlebnisse von damals hatten sich längst in etwas Unwirkliches verwandelt, in Alpträume, und es schien ihm, als wäre all das einem anderen zugestoßen. Er war müde und sah Funken vor den Augen, mit welchem Zeug hatte man ihn vollgepumpt? Wie lange hatte er hier bewusstlos gelegen?
Kara schrak hoch, als er auf dem Flur Schritte hörte. Je näher sie kamen, umso mehr beschleunigte sich sein Puls, die Tür ging auf, und grelles Licht überflutete den Raum. Es dauerte eine Weile, bis er sein Ziel erkannte, dann trat er dem einen sudanesischen Soldaten in den Unterleib. Jetzt noch der zweite Soldat. Er beugte den Oberkörper und wollte noch einmal zutreten, aber ein Fausthieb auf sein Zwerchfell nahm ihm den Atem. Kara fiel auf die Knie und schnappte nach Luft, in dem Moment traf ein eisiger Wasserstrahl seinen nackten Körper mit voller Wucht. Es kam ihm vor wie tausend Nadelstiche, er war nicht mehr fähig, sich zu wehren. Als die Wasserfolter endlich aufhörte, packten ihn die Männer an den Armen und schleiften ihn auf den Flur.
Am Ende des Gangs wurde Kara vor einer zerkratzten Stahltür hochgehoben, bis er stand. Einer der beiden sudanesischen Soldatenöffnete die Tür zum Verhörraum, in dem es nach Urin stank, der andere stieß ihn auf den einzigen Stuhl, seine Hoden schmerzten auf dem kalten Metall. Die Soldaten stellten sich hinter ihn.
Oberst Abu Baabas warf die Zigarette auf den Betonfußboden und trat sie aus. Der Grind der Wunde, die Kara dem arabischen Offizier mit seinem Schlag auf die Nase zugefügt hatte, war als schwarzer Fleck auf der dunklen Haut zu sehen.
Kara schaute zu Baabas auf, der ihn mit schiefem Hals und weit geöffneten Froschaugen beobachtete. »Wie lange hält man mich hier schon fest?«
»Diesmal bist du auf frischer Tat ertappt worden«, sagte Baabas und setzte sich auf die Tischkante.
»Habt ihr den Mörder des Witwenmachers denn nicht gefasst?«, erwiderte Kara wütend. »Der Mann war noch im Haus, als ihr
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