Schwarz
und vermerkt, dass der Witwenmacher die Teile der Marschflugkörper in den Sudan geliefert hat. Aber jemand anders hat die Waffen dann aus Khartoum abtransportiert und montiert. Irgendjemand wollte die Beweise vernichten …«
»Du kehrst jetzt nach Wien zurück«, befahl Gilbert Birou nochmals. Er richtete den Oberkörper auf, und nun war sein ganzer Kopf auf Karas Bildschirm zu sehen, vom mit Pomade getönten Schläfenhaar bis zum Kinn, das an den Kehllappen eines Hahns erinnerte.
Kara lachte kurz auf. »Mein neuer Freund, Oberst Baabas vom Sudanesischen Aktiven Nachrichtendienst, möchte, dass ich in Khartoum bleibe. Das kann noch lange dauern, bis die herausfinden, dass ich niemanden ermordet habe.«
»Hat Baabas dir verboten, das Land zu verlassen?«
Kara rief sich ins Gedächtnis zurück, was der Oberst bei ihrer letzten Begegnung gesagt hatte. »Nicht direkt, er hat …«
»Du kommst mit irgendeiner UN-Maschine. Wegen der Situationin Darfur fliegen die fast jeden Tag verschiedene Orte im Sudan an. Ich kümmere mich darum, dass jemand das organisiert«, sagte Birou und machte eine kleine Pause.
»Wie hat man dich behandelt, dir wurde doch nichts … Gesetzwidriges angetan?«
»Nichts, weswegen man Krach schlagen sollte.«
»Gut so. Vergiss nicht, über alles, was dort geschieht, einen detaillierten Bericht zu schreiben«, ermahnte ihn Birou und legte auf, ohne sich zu verabschieden.
Kara wurde noch wütender. Warum musste Birou Betha mit in ihre Streitigkeiten hineinziehen? Sie war schließlich nahezu die einzige Stütze in seinem Leben, der einzige Mensch, der nach dem Tod seines Vaters und seiner Mutter zu ihm gehalten und sich um ihn gekümmert hatte. Fast alle angenehmen Erinnerungen an die fünf Jahre in Winchester verbanden sich irgendwie mit den Ferientagen bei Betha und ihrem Mann Albert. Und Betha war es auch gewesen, die ihm die Stelle beim UNODC beschafft hatte. Die Sechzigjährige mit der äußerst spitzen Zunge war ihm eine sehr gute Freundin, ein echter Kumpel und alles andere als eine Muttergestalt.
Wenn er an die Vergangenheit dachte, fiel ihm Lionel ein, und sofort loderte der Hass in ihm hoch. Nach dem Tod seiner Eltern wurde der Bruder der Mutter als Vormund eingesetzt. Die einzige nahe Verwandte des Vaters, seine Schwester Eeva, lebte in Finnland, und in der Familie seiner Mutter war niemand anders begierig darauf, sein Vormund zu werden. Er wollte auch selbst lieber in England bleiben, in der Nähe seines zerstörten Lebens. Vielleicht hoffte er damals noch, dass sich alles doch als Alptraum erweisen würde.
Schnell stellte sich heraus, dass Onkel Lionel ein absoluter Idiot war. Er interessierte sich nicht die Bohne für die Angelegenheiten seines Neffen, ihm ging es nur darum, in den Besitz des Geldes seiner Schwester zu gelangen. Lionels Idee war es auch, ihn auf die Internatsschule zu schicken. Besonders bitter war für Kara immer der Ferienbeginn gewesen. Dann mussten die Schüler von Winchester im Haus vor den großen Fenstern zum Hof im Kreis laufen, bis das Auto ihrer Eltern zu sehen war. Lionels Wagen kam stets als Letzter. Die etwa zwanzig Jahre alten Erinnerungen brachten ihn immernoch in Rage, aber nun schmiedete er wenigstens keine Rachepläne mehr gegen seinen Onkel .
Das Telefon klingelte, und Kara meldete sich so gereizt, dass man in der Leitung eine Weile nur ein Rauschen hörte.
»Hier Katarina Kraus. Du hast eine Nachricht hinterlassen, bist aber nicht an dein Telefon gegangen. Ich weiß schon von Ewan Taylors … Tod. Mein Beileid. Ewan und ich haben in gewisser Weise zusammengearbeitet, ich habe ihm bei bestimmten Ermittlungen geholfen. Deinen Namen hat Ewan wiederholt erwähnt. Das letzte Mal haben wir uns am Donnerstag getroffen, meines Erachtens nur ein paar Stunden bevor …« Die schwache Stimme der Frau brach mitten im Satz ab.
»Auch Ewan hat von dir gesprochen«, sagte Kara. »Genau genommen hat er mir Aufzeichnungen hinterlassen, in denen du gelobt wirst. Ein Treffen ist mir natürlich recht, du brauchst nur zu sagen, wo und wann.«
»In einer Stunde vor dem Haupteingang des Stadions ›Stade de Khartum‹.«
***
Die Atmosphäre in der stickig heißen Arena des »Stade de Khartum« war so aufgeladen, dass fast ein Knistern zu spüren war, als Salomon Kalou in der sechsten Minute das 1:0 für die Elfenbeinküste erzielte. Die fünfunddreißigtausend Zuschauer im Stadion verstummten wie in dem Moment, da der Scharfrichter mit dem Beil ausholt. Die
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