Schwarz
Qualifikation für die Weltmeisterschaft nahm man sehr ernst, todernst, Fußball war im Sudan wie fast auf dem ganzen afrikanischen Kontinent die Sportart Nummer eins.
Der Schiedsrichter trug den Ball in den Mittelkreis, und die Sudanesen führten den Anstoß aus.
»Die Nationalmannschaft des Sudan nennt man auch die Wüstenfalken«, sagte Katarina Kraus.
Im selben Augenblick wurde das Spiel durch einen Pfiff des Referees unterbrochen, und besorgt verfolgte das Publikum, wie die spindeldürre Sturmspitze des Sudan mit der Trage an den Spielfeldrand gebracht wurde. Leo Kara hörte in dem Stimmengewirr auf denRängen neben Arabisch auch Wortfetzen in Englisch, Russisch und Französisch.
»Kalou spielt in der englischen Premier League, bei Chelsea. Die Elfenbeinküste hat eine überraschend starke Mannschaft. In der Weltrangliste liegt sie auf Platz 22, und der überwiegende Teil des Teams spielt in großen europäischen Vereinen«, erläuterte Katarina Kraus, die relativ klein war und ihr dunkles Haar als Bubikopf trug.
Das Interesse Karas für die Frau wuchs mit jeder Minute, die verging. Bei einem Fußballspiel würden sich nur wenige der Damen, die er kannte, treffen wollen, und noch weniger wären imstande, fachmännische Kommentare über afrikanische Nationalmannschaften abzugeben. Kraus war keine sonderliche Augenweide: Die straffe Oberlippe entblößte die Schneidezähne fast bis zum Zahnfleisch, das hauchdünne weiße Seidenhemd zeigte keinerlei Wölbung, und die schwarzen Augenbrauen wucherten buschig. Zupften Frauen ihre Brauen nicht mehr, oder handelte es sich um irgendeine modische Laune? Und warum wollte sich Katarina Kraus auf Deutsch unterhalten, obwohl das eindeutig nicht ihre Muttersprache war?
»Was ist mit deiner Hand passiert?«, fragte sie. »Und mit deinem Gesicht?«
»Das hier«, erklärte Kara und zeigte ihr seine Hand, »stammt aus der Villa des Witwenmachers, und das an der Stirn habe ich dem Oberst Abu Baabas von
Al-amn al-ijabi
zu verdanken.« Er berichtete kurz von den Ereignissen in der Villa Sokolows und von seiner Inhaftierung. Seinen Einbruch in Ewans Wohnung ließ er aus irgendeinem Grund unerwähnt.
»Jetzt bist du dran«, sagte Kara schließlich. »Wie seid ihr euch begegnet, du und Ewan? Und wie hast du ihm geholfen?«
»Ich arbeite als Senior Security Consultant bei der Security and Defence Corp., du kennst die Firma vermutlich. Da ich mich etwas über dich informiert habe, weiß ich, dass du früher bei der Global Crisis Group warst. Das ist ja ein privates Konfliktforschungsinstitut, du bist also fast auf demselben Gebiet tätig gewesen wie ich.«
Kara nickte. Er wusste, dass der Arbeitgeber von Kraus, die SDC, eine Art privater Sicherheitsdienst war, der Staaten und Großunternehmenbei der Bekämpfung des Terrorismus und anderer globaler Bedrohungen, im Kampf gegen Drogen, bei Operationen zur Friedenssicherung und humanitären Hilfsprojekten unterstützte.
»Ich habe auf Bitten meines wichtigsten Kunden Kontakt zu Ewan aufgenommen«, fuhr Katarina Kraus fort. »Mein Kunde hält Versuche, Marschflugkörper nach Afrika oder generell so zu verkaufen, dass sie in die falschen Hände gelangen, nicht für wünschenswert. Er weiß ziemlich viel über den internationalen Waffenhandel und die Geschäfte des Witwenmachers. Mein Kunde wollte, dass ich ein Treffen Ewans mit Sokolow organisiere. Seine Absicht bestand darin, Ewan zu helfen, die Raketengeschäfte des Witwenmachers aufzudecken, bevor es … zu spät ist.«
Kara wunderte sich, dass so ein großer und brisanter Fall von einer jungen Frau bearbeitet wurde. Die Senior Consultants waren in der Regel ergraute, vertrauenerweckende Herren in Anzügen mit Weste, Katarina Kraus hingegen sah aus wie höchstens fünfunddreißig und machte einen nervösen und nicht sehr überzeugenden Eindruck.
»Vertritt dein Kunde irgendeine Firma oder einen Staat?«, fragte Kara.
»Du wirst sicher verstehen, dass ich das nicht preisgeben kann. Nennen wir meinen Kunden einfach mal Herrn Hofman. Er weiß alles über die Raketen, denen Ewan auf der Spur war, und er hatte vor, Ewan zu helfen. Ich sollte das vermitteln. Hofman weiß so gut wie alles, was man über Kriege und Kriegsführung wissen kann, das ist in gewisser Weise beängstigend. Doch er will nicht, dass bekannt wird, welche Rolle er spielt. Hofman ist ein Mann, der hinter den Kulissen wirkt, eine Art graue Eminenz der Weltpolitik, ein
Rainmaker
.«
Plötzlich brach im Stadion ein
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