Schwarz
hinter dem Raketenanschlag steckte, auch Ewans Mörder?
Die Angehörigen der Opfer wären erst imstande, wieder ein vernünftiges Leben zu führen, wenn sie erfuhren, was ihren Lieben passiert war, das wusste er selbst nur zu gut. Daran musste Kara denken, als in der Nachrichtensendung beunruhigte Menschen bange Fragen nach dem Schicksal ihrer Verwandten stellten. Er spürte einen abgrundtiefen Hass in sich und den Wunsch, dass schon bald jemand die gesichts- und namenlosen Raketenterroristen zur Rechenschaft zöge, und zwar auf besonders brutale Weise. Diese Symptome kannte er, genau so verlor er die Kontrolle über sich selbst, erst trübte die Wut den Verstand, und dann brach der irgendwo tief in ihm angestauteHass hervor und konnte jeden Beliebigen treffen, der ihm gerade über den Weg lief. Er verabscheute dieses Gefühl, wohl kaum jemand wollte so leben und ein Spielball der eigenen Emotionen sein. Aber so war er nun mal, oder jedenfalls war er so geworden. Leo Kara hatte Angst vor sich selbst, vor seiner eigenen Impulsivität.
***
Der Regen peitschte die Fenster der achtunddreißigsten Etage im Hochhaus des UN-Sekretariats hundertdreiundfünfzig Meter über Manhattan. Der UNODC-Generaldirektor Gilbert Birou und die UN-Vizegeneralsekretärin Ronibala Kumari von der Rechtsabteilung der UNO sahen schweigend zu, wie sich der Generalsekretär, der noch dünner als sonst wirkte, an die Stirnseite des großen Beratungstischs in seinem Arbeitszimmer setzte. Das UN-Hauptquartier in Kenia war vor zwölf Stunden mit einer Rakete angegriffen worden. Auf den Fluren des New Yorker UN-Hauptquartiers herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, das Sekretariat war mit dem Raketenanschlag befasst. Doch im Zimmer des Generalsekretärs schien die Zeit stehengeblieben zu sein.
»Es ist eigentlich überflüssig, auch nur zu erwähnen, dass alles, was bei diesem Treffen gesagt wird, als absolut vertraulich anzusehen ist. Innerhalb der UN werden nur wir drei alle Einzelheiten des gestrigen Raketenanschlags erfahren.« Der Teppichboden und die Holzpaneele an den Wänden dämpften die Stimme des Generalsekretärs, so dass sie noch weicher klang als sonst. Er sah blass aus.
»Der eigentliche Grund für unser Treffen ist das hier«, sagte der Generalsekretär und hielt einen Brief hoch. »Der Präsident der Weltbank, der Präsident des Internationalen Währungsfonds und ich haben heute dieses Ultimatum erhalten, dessen Verfasser seine Identität nicht preisgibt. Der Inhalt des Schreibens ist eindeutig. Wenn die UN, der Währungsfonds und die Weltbank nicht bereit sind, den fünfzig ärmsten Staaten der Welt ihre Schulden zu erlassen und jedem von ihnen einen neuen Kredit in Höhe von drei Milliarden Dollar zu gewähren, werden die Terroristen mit ihren Raketen erneut zuschlagen.«
Birou und Kumari waren so verblüfft, dass sie kein Wort herausbrachten.Der erschrockene Gesichtsausdruck passte schlecht zu Birous gepflegtem Äußeren.
Der Generalsekretär setzte die Lesebrille auf. »In unserem Besitz befinden sich fünf Marschflugkörper der allerneuesten Bauart. Mit ihnen sind wir fähig, die Geschäftsräume der UNO, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sowohl in Afrika und Europa als auch im Nahen Osten anzugreifen. Die in Gigiri eingesetzte Rakete war von ihrer Zerstörungskraft her bescheiden, die erste Rakete sollte nur beweisen, dass wir zu den Anschlägen bereit und fähig sind.«
Er schaute hoch, starrte Birou und Kumari einen Augenblick an und fuhr dann fort: »Wenn nicht auf unsere Bedingungen eingegangen wird, werden wir den nächsten Marschflugkörper zwei Wochen nach dem ersten Anschlag, am Montag, dem 11. Mai, gegen 09:00 Uhr UTC (Universal Time Coordinated), auf Geschäftsräume der UNO, der Weltbank oder des Währungsfonds in Europa abschießen. Wenn Sie Ihre Räume schließen, werden wir zuschlagen, sobald sie wieder geöffnet sind. Die Zahl der Todesopfer wird in die Tausende gehen. Der dritte, vierte und fünfte Anschlag folgen im Abstand von jeweils zwei Wochen, sofern nicht auf unsere Forderungen eingegangen wird.«
»Kann man die Geschäftsräume der UN vor den Anschlägen … schützen?«, fragte Gilbert Birou und nestelte an seiner Hermès-Krawatte. Allerdings bereute er sofort, den Mund aufgemacht zu haben. Nun würde ihm der Generalsekretär womöglich befehlen, etwas zu tun. Ihre Gruppe war mit drei Personen so klein, dass dies unausweichlich schien.
»Seit dem Umzug der US-Botschaft nach
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