Schwarz
bemerken.«
»Das klingt … unfassbar«, sagte Kati Soisalo.
»Der einzige Nachteil ist, dass der Prozess mehrere Tage dauert.Die Pseudofestplatte wird Schritt für Schritt fertiggestellt, in dem Maße, wie Ukkola seinen Computer nutzt. Je mehr er an seinem PC sitzt, umso schneller ist das erledigt.«
Kati Soisalo drehte Jonnys Stuhl herum und setzte sich mit gespreizten Beinen auf seinen Schoß. »Du arbeitest anscheinend am besten allein?«
»Für manche Dinge braucht es zwei. Du musst Ukkola jetzt eine E-Mail schicken.«
15
Sonntag, 3. Mai
Das Blut lief seinem Vater vom Kopf auf die Schultern, die Rinnsale vereinten sich zwischen den Schulterblättern zu einem kleinen Bach. Vater hing schief auf dem Stuhl aus Metall, sein Kinn war auf die Brust gesunken. War er tot oder bewusstlos? Er hatte Angst, warum quälten sie seinen Vater so, warum quälten sie seine ganze Familie? Und gleich würden sie wiederkommen, da war er sich ganz sicher, sie ließen Vater nie für längere Zeit in Ruhe, nicht einmal nachts. Jetzt hörte man schon ihre Schritte, konnten sie seine Gedanken lesen? Sie würden Vater wieder schlagen, und er konnte ihm überhaupt nicht helfen. Er hielt sich nur versteckt wie ein Feigling. Im selben Moment ging die Tür auf, und einer der Männer trat über die Schwelle. Warum lächelte und winkte er …
Erst als Leo Kara das Licht eingeschaltet hatte und die Details seines Hotelzimmers erkannte, wurde ihm klar, dass er aufgewacht war. Wieder derselbe Alptraum, diesmal in seiner kürzesten Version. Er hatte diesen Traum mindestens einmal in der Woche; wenn er gestresst oder erschöpft war öfter, als wenn er sich ausgeruht und entspannt fühlte. In dem Traum schaute er aus einem Versteck zu, wie sein Vater gefoltert wurde. Dann folgte eine quälende Pause von einigen Minuten, anschließend kehrte der Folterer in die Verhörzelle zurück, und der Alptraum endete. Das war absurd. Er blieb ein Gefangener der Ereignisse vom Oktober 1989, Tag für Tag, rund um die Uhr: Wenn er wach war, konnte er wegen der damals erlittenen Kopfverletzung sein Verhalten nicht kontrollieren, und nachts litt er unter bösen Träumen. Das Schwerste war für ihn jedoch, damit leben zu müssen, dass er nicht wusste, was damals tatsächlich geschehen war. Er fühlte sich zerrissen.
Es war kurz vor Mittag. Letzte Nacht war er bis in die frühen Morgenstunden durch die Bars von Helsinki gezogen, aber allein mitfinnischem Bier der mittleren Stärke wurde ein großer Mann nicht richtig betrunken. Und das war auch gut so, dieser Tag würde wichtig werden. Jetzt hatte er eine halbe Stunde Zeit, um zu duschen und zu frühstücken, dann käme Kati Soisalo ihn abholen.
Kara hatte Kopfschmerzen. Er ging ins Bad, warf sich eine Schmerztablette in den Mund und trank Wasser aus dem Hahn. Die Narbe unter dem Haaransatz juckte, er betastete seinen Kopf. Die Hautfalte mit dem unebenen Rand war das einzige physische Andenken an seine Frontallappenverletzung. Das war das Verdienst der Ärzte, sie hatten sein Leben gerettet und ihn im Staatlichen Krankenhaus für Neurologie und Neurochirurgie am Queen Square in London über Wochen behandelt und mit Rehamaßnahmen wieder auf die Beine gebracht. Nach Ansicht der Psychiater hatten die zwanzig Jahre zurückliegenden Schreckenstage allerdings umso mehr psychische Verletzungen hinterlassen. Er konnte die Veränderungen in seinem Seelenleben nicht einschätzen, aber er wusste, dass nur äußerst wenige Menschen ihn so mochten, wie er jetzt war. Und Leo Kara selbst gehörte nicht zu ihnen.
»Kennst du die Rekrutierungspolitik des UNODC ein wenig? Auf welche Dinge legt man bei der Auswahl neuer Mitarbeiter am meisten Wert?«, fragte Kati Soisalo, als ihr zweisitziges Zwergauto, ein Smart, auf dem regennassen Bulevardi an der Ampel hielt.
»Willst du dich bei uns bewerben?«, erwiderte Kara und bekam als Antwort ein Achselzucken. »Ehrlich gesagt weiß ich nichts von der Rekrutierungspraxis des UNODC. Aber generell ist eine entsprechende Berufserfahrung der beste Trumpf.«
Kati Soisalo hätte gerne noch mehr Fragen zu der Abteilung des UNODC gestellt, die den internationalen Menschenhandel untersuchte. Sie wollte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass sie Kara nur in der Hoffnung auf eine Gegenleistung dabei half, die Hintergründe des Globeguide-Projekts zu untersuchen. Sie schob eine CD von »Zen Café« in den Player und trommelte im Takt von »Jeden Morgen« auf das Lenkrad. »Spann deine
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