Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
unterschiedliche Datumsangaben, wer, wann, wo welchen Bericht erhalten habe oder habe erhalten sollen und wann welche Behörde nun wirklich informiert war. Die Bundestagswahl 2009 stand an, und durch die unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse konnte der Vorfall in Kundus von der Politik zum Wahlkampfthema gemacht werden. Das Tanklasterbombardement wurde hemmungslos instrumentalisiert, um die eigenen Wahlchancen zu verbessern. Es ging nicht mehr um die Sache, es ging um die Benutzung dieses Ereignisses zum eigenen Vorteil.
Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Bundeswehr und auch das Verteidigungsministerium oder auch die Bundesregierung insgesamt die Öffentlichkeit und das Parlament bewusst oder unbewusst, verspätet oder gar nicht, nur teilweise oder nur teilweise der Wahrheit entsprechend über den Zwischenfall informiert haben, weil eine öffentliche Diskussion um Opfer des ohnehin unbeliebten Afghanistaneinsatzes nicht in den Wahlkampf der Regierungsparteien – und sogar mancher Oppositionspartei – passte. Es wurde zu verhindern versucht, dass durch unpopuläre Informationen vor allen Dingen die Linkspartei gestärkt aus der Wahl hervorginge. Es kann allerdings nicht der geringste Zweifel daran aufrechterhalten werden, dass das Verteidigungsministerium bereits am Tag des Tanklasterbombardements von allen Details wusste. Denn wie anders hätte es den hier ungekürzt vorgestellten Fragenkatalog an die Bundeswehr in Kundus formulieren können? Und auch wenn – was äußerst unwahrscheinlich ist – die Fragen und Antworten dieses Katalogs nicht gleich am 4. September 2009 innerhalb des Verteidigungsministeriums oder an die Regierung weitergereicht worden sind, so müssen sowohl der Verteidigungsminister wie auch andere Regierungsorgane spätestens am 9. September – also lediglich fünf Tage später – durch den ebenfalls hier wiedergegebenen vertraulichen Untersuchungsbericht der Bundeswehr, der vom Chef der deutschen Militärpolizei erstellt wurde, informiert gewesen sein. Es bestehen berechtigte Zweifel daran, dass die drei später ihrer Posten Enthobenen die einzigen Personen in Regierungsämtern waren, die schon vor der Bundestagswahl 2009 die volle Wahrheit kannten.
Mit dem Wechsel des Verteidigungsministers kam eine überraschende Wende in die beklagenswerte Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr: Der neue Minister Karl-Theodor zu Guttenberg plante, selbst vor die Kameras zu treten und eine Aussage zur Kundus-Affäre zu machen. Gespannt warteten Journalisten und Bürger auf seinen Auftritt. Vergebens! Der Untersuchungsausschuss hat eine Live-Übertragung der Aussage am 22. April 2010 – mehr als ein halbes Jahr nach den Vorkommnissen – abgelehnt. Warum durfte das Volk die Aussage ihres Volksvertreters und Verantwortlichen für die Bundeswehr nicht live miterleben? Er selbst war ja dazu bereit und hatte kein Problem damit; aber aus irgendeinem Grund wollten die Koalitionspartner das nicht, denn vielleicht wären Dinge zur Sprache gekommen, die die Öffentlichkeit nicht wissen durfte.
Die Koalitionsparteien wollten nach eigener Aussage die Bundeskanzlerin schützen und machten Karl-Theodor zu Guttenberg einen Strich durch die Rechnung. Doch wovor wollten sie jemanden schützen, der nichts getan hat? Könnte es sein – und der Vorgang mit der abgesagten Pressekonferenz legt das nahe –, dass dies nur ein weiterer Ausweis für die fehlende Bereitschaft ist, ehrlich und vertrauensvoll hinter der Bundeswehr und dem schwierigen Auftrag der Soldaten zu stehen? Oder bestätigt die abgesagte Pressekonferenz nur ein weiteres Mal den Verdacht, dass sich in der Bundeswehrführung Strukturen gebildet haben, die der Politik nicht mehr das geringste Vertrauen entgegenbringen und sich aufgrund dieser Einschätzung außerhalb jeder Kontrolle durch Politik und Öffentlichkeit stellen?
Das würde jedoch schlicht bedeuten, dass das Militär nicht mehr kontrollierbar wäre. In diesem Fall würde eindeutig die Führungsfähigkeit der Bundeskanzlerin betroffen sein, und die Koalitionspartner hätten dann auch recht mit der Behauptung, sie wollten nur die Bundeskanzlerin schützen. Jedenfalls hatten Angehörige der Regierung augenscheinlich Angst vor möglichen unvorhersehbaren Entwicklungen bei dieser Veranstaltung und welches Bild sie abgeben würden, falls ihre eigene Kenntnis dieser Wahrheit dabei ans Licht kommen könnte.
Da zu diesem Zeitpunkt die Bundestagswahl vorüber war, bestand ja Hoffnung,
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