Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
dass der damals immer noch relativ neue und sehr beliebte Verteidigungsminister den Aufklärungsdruck bezüglich der Vorfälle in Kundus endlich erhöhen würde, denn schließlich war eine unbekannte Zahl von Menschen – ob Soldaten, Taliban oder Unschuldige – zu Tode gekommen, und noch immer waren Größenordnungen, Tathergang und Verantwortungszuständigkeiten in höchstem Maße widersprüchlich oder der Öffentlichkeit gar nicht bekannt gemacht.
Ich hatte die Gelegenheit, den damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg während eines Fernsehauftrittes selbst kennenzulernen. Ich gewann den Eindruck, dass er zu dem steht, was er sagt, – selten genug beim homo politicus . Was ihm allerdings in Reihen der Soldaten keine Glaubwürdigkeit verschafft hat, war denn auch die Tatsache, dass er von seiner ersten Aussage abgewichen ist. Seine erste Aussage war, dass er den Luftschlag für militärisch angemessen hielt. Doch diese Angaben zog er in einer Erklärung zurück, die er am 3. Dezember 2009 vor dem Bundestag vortrug: »Obgleich Oberst Klein – ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht, im Lichte aller, auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch nicht angemessen. Nachdem ich – ohne juristische Wertung, das ist mir wichtig – meine Beurteilung diesbezüglich rückblickend mit Bedauern korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend mein Verständnis bezüglich Oberst Klein.«
Als ich in der schon angesprochenen Fernsehsendung als Gast eingeladen war, gab es die Möglichkeit, auf den Zwischenfall in Kundus und auf ein direkt damit zusammenhängendes Thema zu sprechen zu kommen. Es ging um Entschädigungsleistungen Deutschlands an Afghanen, die durch das Tanklasterbombardement zu Schaden kamen oder den Tod von Angehörigen zu beklagen hatten. Zu jener Zeit machte nämlich ein Bremer Anwalt durch seine Recherchen auf sich aufmerksam. Dieser Anwalt hatte seiner Aussage nach während zweier Reisen in die Gegend des Luftangriffs 179 zivile Opfer festgestellt, darunter 134 Tote. Nun forderte er von der Bundesregierung Schadensersatz. In der Fernsehsendung war von mir folgende Frage in den Raum gestellt worden: »Warum fällt eigentlich niemandem auf, dass von dem Augenblick an, als die Bundesregierung öffentlich machte, dass man Gelder bereitstellt, um eventuelle Opfer oder Hinterbliebene zu entschädigen, die Opferzahlen täglich ansteigen?«
Am Ende von vielen Analysen, Diskussionen und Verhandlungen mit den Zuständigen in Afghanistan einigte man sich auf eine Unterstützungszahlung für Hinterbliebene von 66 Todesopfern und auf die Summe von circa 4000,– Euro für jeden Todesfall. Die Tatsache, dass man eine Unterstützungszahlung für Hinterbliebene leistet, legt den Verdacht nahe, dies sei ein indirektes Eingeständnis, dass es sich bei den Getöteten um Zivilisten gehandelt hat. Denn wer würde Unterstützungszahlungen für Hinterbliebene von in einem kriegerischen Konflikt gefallenen Feinden leisten? Jedenfalls hat die Bundesregierung diese Zahlen am 10. August 2010 bekannt gegeben.
Bei allen Ausführungen zum Thema Tanklasterbombardement wird eines überdeutlich: Letztlich schaden die Diskussionen und die mangelnde Aufklärung durch Politik, Medien und auch unseriöse Interessenvertreter, die sich an so einem Zwischenfall bereichern wollen, nur einer Partei – den Soldaten, die dadurch in der Öffentlichkeit noch mehr an Ansehen verlieren. Und so könnte es durchaus berechtigt sein, was am 18. Dezember 2009 Ernst-Reinhard Beck, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, und Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, erklärten: Das Grundgesetz müsse geändert werden, da darin die »veränderten Realitäten des 21. Jahrhunderts« wie die asymmetrische Bedrohung in Afghanistan bisher nicht berücksichtigt sei. »Wir sind rechtlich, mental und politisch nicht aufgestellt für kriegerische Handlungen. Wir wollen die pazifistischen Pazifisten sein. Das geht nicht.«
Allerdings ist dies auch ein weiteres offenes Eingeständnis, dass Einsätze wie in Kundus unserer Verfassung widersprechen. Und wieder einmal plädieren Abgeordnete des Deutschen Bundestages lieber dafür, das Grundgesetz zu ändern, als sich an seine Bestimmungen zu halten. Statt endlich Opferzahlen, Abläufe und die
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