Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
die verschiedenen Orden die Jahrhunderte hindurch in der Regel die Interessen der römischen Kirchenleitung verfolgt und bildeten dabei ein Gegengewicht gegenüber Bischöfen, die häufig dynastische oder nationale Loyalitäten zu beachten hatten. Das gilt für die Zisterzienser zur Zeit der Kreuzzüge genauso wie für die Dominikaner der Inquisition oder die Jesuiten während der sogenannten »Gegenreformation« beziehungsweise »Katholischen Reform« nach dem Konzil von Trient ( 1545 – 1563 ). Ordensleute, die sich auf Ehelosigkeit, persönliche Armut und Gehorsam gegenüber den Oberen verpflichten, sind ideale Einsatzkräfte für besondere Aufgaben. Die meisten Orden beachten daneben noch spezielle Gelübde, die dem besonderen Zweck der religiösen Gemeinschaft dienen. Und diese Zwecke sind vielfältig, sie reichen vom Loskauf christlicher Sklaven von muslimischen Kriegsherren (Orden der Mercedarier und der Trinitarier), der Pflege von Geisteskranken (Alexianer), der Erziehung von Jugendlichen (Salesianer) oder des Betreibens von Kinderheimen (Mallersdorfer Schwestern) bis zur Abhaltung von feierlichem Gottesdienst (Augustiner-Chorherren), manche verpflichten sich zu strenger Askese und ständigem Schweigen (Kartäuser) oder zur Ernährung nur von Brot, Früchten, Öl und Wein (Augustiner-Barfüßer), um nur einige Beispiele zu nennen. Das erscheint weltlichen Augen alles leicht skurril bis sympathisch, aber nicht gefährlich. Und doch kann aufgrund der Struktur des kirchlichen Ordenswesen eine Gemeinschaft von wenigen tausend Mitgliedern, die straff geführt werden, es innerhalb weniger Jahre schaffen, die Kurie in Rom für ihre Zwecke zu manipulieren und damit erheblichen Einfluss auf die Ausrichtung der Kirche gewinnen. Das Beispiel der Legionäre Christi beweist, dass das auch heute noch versucht wird.
Im alten Europa und in Nordamerika gehen die Mitgliederzahl und damit die Bedeutung der meisten klassischen Orden zurück. Frauen oder Männer in Ordenstracht sind ein seltener Anblick in den Großstädten der Ersten Welt geworden und kaum jemand hat noch Kontakt zu ihnen. Ja, vielen Mitmenschen begegnen traditionsreiche Namen wie Augustiner, Paulaner, Franziskaner oder Trappisten nur noch auf Flaschenetiketten im Getränkemarkt. Die Funktion der alten Orden haben in aller Stille neue geistliche Gemeinschaften eingenommen, außerkirchlich meist unbekannt und wegen des Fehlens von Klöstern oder Ordenstrachten auch kaum äußerlich erkennbar. Ihre Mitglieder leben teils in Männer- oder Frauengruppen zusammen, wie bei den Focolari, einer in Italien entstandenen Gemeinschaft, gehen normalen Berufen nach und führen sonst ein religiöses und wohltätiges Leben. Solche Gruppen unterstehen grundsätzlich der Aufsicht des Päpstlichen Rates für die Laien sowie den Bischöfen. In den letzten Jahrzehnten sind Dutzende solcher neuen Gemeinschaften entstanden, die meisten sind klein und unbedeutend geblieben. Größere Bedeutung besitzt die 1954 gegründete Bewegung Comunione e Liberazione, die schätzungsweise 100 000 Mitglieder zählt, die meisten davon in Italien. Sie soll ihrem Programm nach sich um die Rationalität des Glaubens kümmern. Ob die italienischen Politiker Giulio Andreotti und Silvio Berlusconi deshalb zu den Sympathisanten dieser Gruppe zählen? Die beiden Spezialisten für Macht, Geld und Einfluss haben sicher ihre eigene Auffassung von dem, was vernünftig ist …
Der Neokatechumenale Weg
Eine dieser neuen geistlichen Bewegungen fällt jedoch aus dem Rahmen – und nach allem, was man aus Jahrhunderten der Geschichte katholischer Sondergruppen gelernt hat, muss man sagen, sie fällt in einer äußerst beunruhigenden Weise aus dem Rahmen. Einer ihrer cleveren Schachzüge besteht darin, vorzugeben, gar keine Gruppe zu sein. Wie so vieles an dieser neuen Bewegung liegen auch ihre Anfänge im Dunkeln. In den Siebzigerjahren machte der spanische Kunstmaler »Kiko« Argüello aus Léon, der seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung von Ikonen verdiente, die Bekanntschaft der ehemaligen Ordensschwester Carmen Hernández und von Pater Mario Pezzi aus dem Orden der Comboni-Missionare. So die verbreitete Gründungslegende.
Die drei entwickelten ein Lehrsystem, das die Menschen zu Christus führen sollte, dessen Inhalte jedoch in keiner öffentlich erhältlichen Schrift dargestellt werden. Irgendwie schafften sie es, 1979 von Johannes Paul II . in der päpstlichen Sommerresidenz Castel
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