Schwarzbuch Wachtturmgesellschaft - der verborgene Januskopf (Will Cook und die Wachtturmgesellschaft) (German Edition)
lebenden Auserwählten erst im Jahr 1881 nachkommen würden. Aber auch in diesem Jahr erfüllte sich die verschobene Erwartung nicht und Russell geriet in Erklärungsnöte. 29
Russell hatte Nelson H. Barbour, den Herausgeber des Blattes „Herold des Morgens“, im Jahr 1876 kennen gelernt, nachdem ihm ein Exemplar dieses Mitteilungsorgans im Januar des Jahres bei einer Bahnreise in die Hände gefallen war. Er erblickte in dem Adventisten Barbour offenbar einen Geistesverwandten. Barbour und sein Mitarbeiter Paton waren wegen der auch von ihnen gepredigten und fehlgeschlagenen Endzeitverkündigung für das Jahr 1874 „gebrannte Kinder“.
Sie hatten in den vergangenen Jahren nach einer Erklärung für das Ausbleiben des so hoffnungsfroh erwarteten Ereignisses gesucht und versuchten sich selbst einzureden, ihre Theorie für 1874 könne doch nicht so grundverkehrt gewesen sein. Nur eben, dass ein anderer Erwartungshorizont damit verbunden werden müsse. Wie dieser aber konkret aussehen könnte, wussten sie zunächst nicht. Ihre Verunsicherung hielt an, bis b. w. Keith, ein Leser der Zeitschrift „
Herold des Morgens“
, eine zündende Idee hatte. Keith hatte in der Benjamin Wilson Übersetzung der Bibel den Begriff
Parousia,
übersetzt als ‚fortdauernde Gegenwart‘, entdeckt.
Ein derartiges Verständnis, das von einer fortdauernden Wiederkehr des Herrn und nicht nur von dem kurzzeitigen Ereignis seiner eigentlichen Rückkehr ausging, sollte für sie jetzt die Grundlage für eine gänzlich neue Erklärung bilden.
Eine fortdauernde Rückkehr, also die
Parousia,
so Barbour, müsste logischerweise auch unsichtbar für menschliche Augen stattgefunden haben, wenn die eigentliche Gegenwart des Herrn unsichtbar sei.
Das war endlich der Schlüssel, nach dem Paton und er bislang vergeblich gesucht hatten. Das Erklärungsmodell der Unsichtbarkeit war geboren. Gemeinsam entwickelten Barbour und Paton den Gedanken von Keith weiter und formulierten ihre Theorie von der unsichtbaren Rückkehr und fortdauernden unsichtbaren Gegenwart des Herrn. Auch der in Erklärungsnöten befindliche Russell ließ sich von dieser Vorstellung schnell überzeugen.
Wohl auch, um von seinen Fehlleistungen abzulenken, vertrat er jetzt gemeinsam mit den Adventisten die Auffassung, die unsichtbare Gegenwart des Herrn, die Parousia , habe tatsächlich pünktlich im Jahr 1874, ihrem vorhergesagten Zeitpunkt der Rückkehr, begonnen. 30 Aber eben unsichtbar. Selbstredend müsse sich der eigentliche Rückkehrvorgang, die Ankunft des Herrn, daher auch unsichtbar vollzogen haben. Sie seien mit ihren Annahmen im Recht gewesen.
Russell hatte offenbar die Möglichkeiten, die ihm diese Hypothese zur Korrektur seiner eigenen prophetischen Fehlleistungen auch zukünftig bieten könnte, erkannt und zögerte nicht, sie umgehend zu seiner, und damit zu einer der zentralen Auffassungen der Wachturmgesellschaft zu machen. Ein Schritt, der schon damals nicht von ungeteilter Zustimmung begleitet wurde.
„ Unsichtbare Wiederkunft und Gegenwart Christi “ blieb zunächst ihr gemeinsames Lösungswort, bis Russell dieses im Alleingang für seine Publikationen übernahm und es nach seiner Trennung von den Adventisten zu einem festen Bestandteil der Lehre der Wachtturmgesellschaft machte.
Was jedoch das von Russell ebenfalls so nachdrücklich wie eindeutig für 1914 vorhergesagte Ende des gegenwärtigen Systems 31 betraf, entstand für die Gesellschaft daraus ein Folgeproblem. Wie konnte sie zukünftig glaubwürdig bleiben, da doch dieses prophezeite Systemende, das sich partout nicht mehr in den Bereich des Unsichtbaren verschieben ließ, für alle Menschen deutlich erkennbar, bis zum heutigen Tag nicht eingetreten ist? Was war zu tun?
Bei dem Herangehen an dieses Problem erwies sich die WTG später als ebenso flexibel und einfallsreich wie ihr früherer Präsident Russell. Die Lösung war denkbar einfach. Die Aussagen von Russell wurden im Nachhinein verändert.
So, als wenn sie nie etwas anderes ausgesagt hätte, behauptet die Wachtturmgesellschaft heute, dass Russell für das Jahr 1914 nur den Beginn des „Abschlusses des Systems der Dinge“ 32 und keinesfalls dessen Ende und das Ende der Christenheit vorausgesagt habe.
Ein Trick, mit dem sich nicht nur der Beginn des Endes, der Endphase, neu definieren ließ. Auch dessen Abschluss würde sich auf diese Basis nahezu beliebig nach hinten verschieben lassen.
Eine Taktik, der sicherlich Erfolg beschieden
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