Schwarzbuch Wachtturmgesellschaft - der verborgene Januskopf (Will Cook und die Wachtturmgesellschaft) (German Edition)
gewesen wäre, wenn die Gesellschaft in ihrem prophetischen Übereifer nicht den Fehler begangen hätte, sich erneut festzulegen. Noch unter der Führung Russells verstieg sie sich dazu, den zunächst im Unbestimmten gehaltenen erwarteten Abschluss des Systems der Dinge doch zu definieren.
Das zunächst für 1914 erwartete Ende wurde auf der Zeitachse sogar mit genauen Jahresangaben, zunächst von Russell und später von seinem Nachfolger Rutherford, weiter in die Zukunft verschoben. Mit jedem neuen Fehlschlag weiter in die Zukunft.
Erst nach diversen diesbezüglichen Enttäuschungen, da nicht eine einzige der gemachten Ankündigungen ihr den Gefallen tat, so einzutreffen, wie vorhergesagt, und als ihr keine andere Möglichkeit zu weiteren Verschiebungen blieb, rückte die WTG eine weniger konkrete Prophezeiung in den Vordergrund. Nunmehr würde sich das Ende innerhalb der Lebensspanne jener Generation ereignen, die das Jahr 1914 bewusst erlebt habe. 33 So die Lehre Russells und der Wachtturmgesellschaft, an der diese tatsächlich sogar bis zum Herbst des Jahres 1995 festhielt und erst dann ersatzlos aufhob, als sich der Fehlschlag nicht mehr länger leugnen ließ, da die besagte Generation zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend weggestorben war.
Im Unterschied dazu ist die Russelllehre von der unsichtbaren Wiederkunft und Gegenwart Jesu, der Parousia , bis heute unverändert offizielle Lehrmeinung der WTG geblieben.
Auch die Behauptung der WTG von ihrer Berufung zum „treuen und verständigen Sklaven“ konnte ohne Korrektur aufrechterhalten werden. Wohl wegen der beschworenen Unsichtbarkeit auch dieses Ereignisses sah schon Russell keine Notwendigkeit zu einer Änderung oder zu einer Verschiebung.
Was würde sich schon konkret gegen Ereignisse vorbringen lassen, die unsichtbar stattgefunden haben?
Aber zunächst hatte die vollmundig verkündete Ankündigung für das Jahr 1914 Russell vor ein akutes Problem gestellt. Die Zeit verging und tatsächlich war bis zum proklamierten Oktober des genannten Jahres nichts geschehen, was auch nur annähernd seine hochgestellten und weit verbreiteten Erwartungen rechtfertigen würde. Was nun? Russell wartete zunächst bis zum Freitag, den 2. Oktober ab und hielt an diesem Tag eine Überraschung für die Mitglieder der Bethelfamilie in Brooklyn bereit.
Nach dem Bericht des Augenzeugen McMillan, einem engen Weggefährten Russells, betrat dieser den Speisesaal im Bethel zum Frühstück wie immer. Bevor er jedoch, wie gewohnt, zu seinem Platz ging und sich setzte, zögerte er einen Moment, klatschte kurz in die Hände und konstatierte laut, dass die „Zeiten der Nationen nunmehr beendet seien und die Könige der Welt ihren Tag gehabt hätten.“ 34
Das sollte, mit anderen Worten gesagt, bedeuten, dass das Königreich der Himmel mit Jesus Christus als inthronisiertem König, tatsächlich die von ihm, Russell, vorhergesagte Macht, wenn auch Jahrzehnte später als ursprünglich prophezeit und auch nur im Himmel, übernommen habe. Aber immerhin ein Ereignis, das im Oktober des Jahres, das er ursprünglich vorhergesagt hatte, auch tatsächlich so eingetreten war.
War es das? Jedenfalls war es so nach Russells eigenen Worten. Sozusagen eine „self-fulfilling-prophecy“ – eine sich selbst, sogar durch sich selbst in seiner Person erfüllende Prophezeiung? Die Anwesenden hatten keinen Zweifel und folgten dem Beispiel Russells, indem sie dem Bericht von McMillan ebenfalls applaudierten. Das war alles. Erdenweit hat niemand eine besondere Erscheinung, ein übernatürliches Phänomen oder irgendetwas, was auf eine Machtübernahme im himmlischen Königreich schließen lassen könnte, bemerkt. Selbst Russell behauptete nicht, eine Vision gehabt oder eine göttliche Botschaft erhalten zu haben. 35
Nein, tatsächlich gibt es nur die diesbezügliche Feststellung aus seinem Mund vor dem Frühstück an dem besagten Tag, die er aufgrund seiner jahrelange Recherchen so ermittelt zu haben glaubte. Mehr nicht. Kann das etwa als Erfüllung seiner im neunzehnten Jahrhundert von ihm selbst gemachten und später sogar verschobenen Prophezeiung angesehen werden? Nur eine Ansage? War das nicht etwas zu wenig für ein derartiges Ereignis von weltweiter Bedeutung?
Sicher nicht für die im Speisesaal anwesenden Mitglieder der Bethelfamilie und den ihm treu ergebenen Bruder McMillan, die jede Äußerung ihres „Pastors“ auch ohne weitere Beweisführung nur allzu bereitwillig als geoffenbarte
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