Schwarzbuch WWF: Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda (German Edition)
Stelle.«
Der verunglückte Taucher heißt Pedro Pablo Alvarado. Er starb mit 29 Jahren, als er in 40 Metern Tiefe das Schutznetz gegen Seelöwen reparierte. Cristián hat die Akten der ermittelnden Staatsanwaltschaft durchgesehen und mit Kollegen sowie Angehörigen des Toten gesprochen: »Das Unternehmen behauptete, er sei in 20 Metern Tiefe verunglückt, so tief darf er laut Gesetz mit seiner Lizenz tauchen. Jeder weiß, dass das nicht sein kann, denn die Seelöwennetze hängen 40 Meter tief. Außerdem: Pedro Pablo musste während eines Sturms tauchen, obwohl die Marine als zuständige Behörde jeden Tauchgang für das Gebiet untersagt hatte. Die Unternehmen halten sich an keine Verbote.«
Ich frage bei der zuständigen Staatsanwaltschaft nach, wie die Ermittlungen ausgegangen sind: Zwei Jahre nach dem Tod des Tauchers muss Marine Harvest 2000 Euro Strafe zahlen – wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschriften. Auf ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung verzichtet der Staatsanwalt. Die Justiz schütze die Täter, nicht die Opfer, meint Cristián Soto: »Die Staatsanwaltschaft kommt bei jedem Unfall zu dem Ergebnis: Der einzige Verantwortliche für seinen Tod ist der Taucher selbst. Das Strafrecht schützt uns nicht. Das ist sehr ungerecht. Bis jetzt habe ich Glück gehabt. Aber meine Familie muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass auch ich eines Tages nicht zurückkommen werde.«
Lachskadaver mit Tauchern
Die Lachsindustrie nimmt demnach den Tod von Tauchern in Kauf – um Kosten zu sparen. In der Sprache der Volkswirte sind das »komparative Kostenvorteile« für Unternehmen aus dem Norden, die ihre Produktionsstätten in den Süden verlagern. Schätzungsweise 100 chilenische Taucher sind in den vergangenen 10 Jahren in den Käfigen ums Leben gekommen, in der norwegischen Lachsindustrie starb in der gleichen Zeit einer. Wir entschließen uns, den Konzern mit dieser Zahl zu konfrontieren. Adolfo Alvial, der technische Direktor in Chile, ist zum Gespräch bereit, aber erst einmal zeigt er uns seinen ganzen Stolz: Die neue Öko-Aufzucht Rio Blanco, gelegen in den sanften, grünen Hügeln der Voranden. Es ist die modernste Anlage ihrer Art: sauber, umweltschonend, mit getrennten Wasserkreisläufen und Biofiltern. Hier wachsen in großen Bottichen die Mastlachse der nächsten Generation heran: 10 Millionen.
Was für ein Kontrast zur brutalen Lebenswelt in den Lachskäfigen des Konzerns! Ich spreche Alvial auf diesen Gegensatz an und sage ihm, dass ich mir hier wie Alice im Wunderland vorkomme. Er lächelt zufrieden: »Du bist in der Wirklichkeit. Chile ist das Land der Wunder. Diese Anlage zeigt den Kurswechsel, den es bei Marine Harvest gibt. Da wollen wir hin, auch wenn es noch viel zu tun gibt.«
Nächste Frage: Warum mussten 100 Taucher sterben, damit das Geschäft mit dem Lachs brummt? Das weltmännische Lächeln verschwindet schlagartig aus Adolfos Gesicht: »Dafür gibt es keine Erklärung. Ich könnte Einwände gegen die Zahl 100 vorbringen. Manchmal sind die Opfer Muscheltaucher, die auf eigene Rechnung an der Küste tauchen; und wenn sie verunglücken, wird das uns angehängt. Das ist unfair. Aber egal, auch wenn es nur 10 sind oder 12 oder 20. Jeder Tote ist einer zu viel.«
Als unsere Kamera ausgeschaltet ist, rückt er ein Stück an mich heran und sagt augenzwinkernd: »Ganz unter uns, die meisten Taucher sterben, weil sie betrunken zur Arbeit kommen. Ihr Hauptfeind ist der Alkohol, nicht das Unternehmen.«
Petters glückliche Lachse
Wieder in Norwegen treffen wir uns mit dem hiesigen technischen Direktor des Weltkonzerns – einem aufrechten und scheuen Mann. Petter Arnesen geht griesgrämig und leicht gebeugt auf sein Schnellboot, um uns die heile Welt der norwegischen Lachse zu zeigen. Die Konzernführung hat ihn dazu verdonnert, weil der PR-Direktor gerade gekündigt hat; also muss Arnesen ran. Schließlich hat er den Partnerschaftsvertrag mit dem WWF ausgehandelt. Gemeinsam mit dem WWF hat er auch den weltweiten »Aquakultur-Dialog« aus der Taufe gehoben. Mit einem neuen »Nachhaltigkeitssiegel« soll die Lachsmast auf der ganzen Welt ihr schmuddeliges Image endgültig loswerden.
Petter Arnesen gibt zu, dass die Vereinbarungen mit dem WWF bislang unpräzise und allgemein sind. Der Vertrag sei noch »im Fluss«. Am wichtigsten sei der ständige Dialog: »Wir lernen vom WWF etwas über die ökologischen Abläufe im Meer, und der WWF kann lernen, wie Aquakultur wirklich
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