Schwarzbuch WWF: Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda (German Edition)
Fischtrawler, der Humboldtstrom vor Chiles Küsten gilt als die fischreichste Region der Welt. An der Kaje treffen wir Nelson Estrada. Nach 19 Stunden auf stürmischer See sind er und seine 13 Kameraden dabei, 90 Tonnen frische Anchovis zu entladen. Die Fische werden mit einem riesigen Schlauch angesaugt, der wie ein Rüssel in den Laderaum reicht. Mit Lastwagen werden sie dann direkt in eine Fischmehlfabrik gefahren. Für Nelson Estrada ein deprimierender Augenblick: »Die Industrie hat die meisten Fanglizenzen aufgekauft. Wir landen hier nur noch Fisch für die Futterindustrie an. Dabei sind Anchovis sehr gesund und eiweißhaltig. Es ist ein Verbrechen. Mich widert diese Industrie an, aber ich muss meine Familie durchbringen, deswegen arbeite ich für sie.«
Nelson ist Aktivist der Fischergewerkschaft und hat wenig Zeit, denn morgen beginnt der Streik der Schiffsbesatzungen. Sie wollen gegen die niedrigen Preise vorgehen, die die Fischmehlfabriken für den Fisch zahlen. Das Geld, das die Kapitäne verdienen, reicht nicht aus, um das Schiff abzubezahlen; die Fischmehlfabrik hat das Schiff vorfinanziert. Deshalb sind Kapitän und Besatzung von ihr vollkommen abhängig: »Wir sind nur noch Sklaven der transnationalen Industrie, in Chile gibt es keine freien Fischer mehr.« Nelson Estrada ist ein geborener Fischer. Als er 12 war, blieb sein Vater auf See. Er bittet uns an Bord und zeigt uns im Laderaum den tonnenschweren Berg aus glitzernden, kleinen Anchovi-Körpern: »Ich schäme mich für das da: Diese Fische sind winzig, noch nicht einmal geschlechtsreif. Wir plündern die Bestände, bevor sie sich fortpflanzen können. Da bleibt für zukünftige Generationen nichts mehr übrig.«
95 Prozent aller Fische, die in chilenischen Gewässern gefangen werden, enden als Kraftfutter für Lachse, Schweine, Rinder und Hähnchen. Sie sind der Treibstoff einer gierigen Massentierhaltung, die sich den Globus untertan macht. Nelson Estrada ist zwar ein Kämpfer, aber auch er wirkt angesichts der Macht der ökonomischen Verhältnisse mutlos: »Unsere Regierung ist zu schwach, um den Konzernen etwas entgegenzusetzen. Es ist bequemer für die Politiker, wenn sie sich im Namen der ›freien Marktwirtschaft‹ auf die Seite der finanziellen Machtgruppen stellen. Sie spielen mit, aber die Regeln machen andere.«
Unter Haifischen
Dort, wo Douglas Tompkins herrscht, ist das Reich der Lachse zu Ende. In Patagonien, geschmiegt an die Anden, liegt sein Nationalpark Pumalín. Viele chilenische Naturschützer trauen ihm nicht über den Weg, weil er aus ihrer Sicht ein »Profiteur« der Globalisierung ist. Seine Textilfirmen Esprit und The North Face sind groß geworden, weil er die Produktion in asiatische Billiglohnländer auslagerte.
Tompkins lächelt müde, als ich ihm die Kritik vorhalte: »Ich bestreite das gar nicht. Aber als mir klar wurde, wohin diese Art von Globalisierung führt, habe ich die Konsequenz gezogen und bin ausgestiegen.« Er hat seine Anteile an den Textilkonzernen verkauft und mit dem Geld einen der letzten kalten Regenwälder Patagoniens aufgekauft. Über 7560 Quadratkilometer erstreckt sich sein grünes Paradies, das er vor den Kettensägen der Zelluloseindustrie gerettet hat. In der weltweiten Naturschutzbewegung gilt er inzwischen als eine Art Guru der Deep Ecology, die sich nicht mit kosmetischen Korrekturen zufrieden gibt, sondern für ein Ende des Wachstumswahns eintritt. Vom Schmusekurs des WWF gegenüber der Industrie hält er nichts: »Die Vorstellung, dass es eine nachhaltige Massentierhaltung im Meer geben kann, ist verrückt und eine gefährliche Illusion, die uns dem ökologischen Kollaps näherbringt.«
Douglas Tompkins
Als er hier vor über 20 Jahren anfing, konnte er nicht ahnen, dass sein Naturpark eines Tages von Lachsfarmen eingekesselt würde. Der zarte, hagere Mann mit den durchscheinenden Augen sitzt mir auf einem Lehnstuhl in seiner alten restaurierten Villa gegenüber – ein Palast ganz aus Holz, direkt am Ufer des Llanquihue-Sees. Mit seinen Nachbarn, den Lachsfarmen, liegt der Gringo, wie er hier genannt wird, beständig im Clinch. Sie bedrohen sein Paradies, er ärgert sie mit Strafanzeigen, wann immer sie gegen die ohnehin schwachen chilenischen Umweltgesetze verstoßen. Einer seiner Nachbarn hatte zum Beispiel 24 Käfige auf seiner Farm installiert, doppelt so viele wie genehmigt.
Freut es ihn jetzt, dass sich die Natur mit Hilfe des Lachs-Virus am Hochmut der Industrie
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