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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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führte die Trasse, auf der ich rollte, schon von Tsim Sha Tsui, unten an der Südspitze Kowloons bis hinauf nach Tsuen Wan, von wo sie westwärts über den Rambler Kanal auf die kleine Insel Tsing Yi und von da nach Lantau führte. Führen sollte, eigentlich, denn die Riesenbrücke war noch nicht ganz fertig ...
    Ich bog von der Ferry Street ostwärts ab und kam bald in eine ruhigere Gegend. Die Kam Fong war eigentlich ein einziger riesiger Hinterhof. Allerdings ein gepflegt aussehender. Denn hier hatten offenbar Architekten gearbeitet, die vom üblichen Flair der Mietskasernen nichts mehr wissen wollten. Es war zu bezweifeln, daß sie alle Ratschläge des zuständigen Feng-Shui-Mannes befolgt hatten, der darauf zu achten hat, daß beispielsweise der Tür gegengegenüber oder auch dem Fenster keine Zimmerwand steht, die dem Wind- und Wassergeist den Durchgang behindert – hier lagen Fenster, Türen und Erker so bunt durcheinander, daß es die reine Freude war, so etwas zu sehen, nachdem man an den vorschriftsmäßigen und den Geistern genehmen Bauten die Lust verloren hatte.
    Es gab ordentlich geputzte Fassaden mit viel Leichtmetall, Balkons ohne trocknende Wäsche, was auf Trockenmaschinen im Kellergeschoß schließen ließ, es gab Grün, das von den Bewohnern offenbar sogar gepflegt wurde. Die Wohnungen schienen eher klein zu sein als übergroß. Eine nicht geringe Anzahl waren sogenannte Single-Apartments, in denen es auf engstem Raum immerhin ein Wohnzimmer, eine Kochnische und eine Duschkabine gab.
    Alles das stellte ich fest, nachdem ich in der Nummer 23 auf dem riesigen Schild mit den Namen unter den Klingelknöpfen entdeckt hatte, daß ein Mister Ba Kwon in der dritten Etage logierte.
    Ich hatte meinen gesetzeswidrigen Türöffner eingesteckt, ein Werkzeug aus der Fertigung eines Hongkonger Kleingauners, der zu meinen weniger moralisch geprägten Bekannten gehörte. Ein Blick auf die Türschlösser sagte mir, daß seine Erfindung hier problemlos den Zutritt eröffnen würde.
    Das Gebäude machte einen überraschend stillen Eindruck. Nur kleine Wohnkabinette, deren Eigentümer ihrem Job nachgingen, und offenbar nur wenig Kinder. Im dritten Stockwerk öffnete ich mühelos die Tür zur Wohnung des toten Killers. Was ich in dem genormt wirkenden Wohnraum erblickte, zeugte von erstaunlichem Ordnungssinn. Keine herumliegende Unterwäsche, keine zerknautschten Kissen, die Aschenbecher leer, sogar die Luft war frisch, wie man das in diesen Betonburgen eigentlich selten hat, trotz teurer Klimaanlagen. In der Kochnische keine Töpfe mit verkrusteten Resten von Wochen alten Mahlzeiten, keine bekleckerten Schalen, nicht einmal eine angebrochene Milchtüte – der winzige Kühlschrank enthielt ein paar Büchsen, Ölflasche, Chilisoße und zwei noch verschweißte Plastepackungen mit Fertiggerichten. Das alles machte den Eindruck, als habe es eine ordentliche Hausfrau vor dem Verlassen der Wohnung säuberlich aufgereiht.
    Es fand sich in keiner Schublade auch nur ein Blatt Papier, weder beschrieben noch unbeschrieben, keine Zeitung war da, kein persönliches Dokument, auch kein Brief. Man konnte den Eindruck gewinnen, es handle sich um eine zur neuen Vermietung bereitstehende Wohnung.
    Als ich den Vorhang der Duschkabine zurückzog, erwartete ich, wenigstens hier Seifenreste zu finden, eine Pfütze vielleicht auf dem Boden, aber auch diesmal gab es absolut keinen Hinweis, daß ein menschliches Wesen sich überhaupt hier aufgehalten hatte. Nicht einmal der Brausekopf tropfte.
    Ich überlegte. Dabei zog ich den Plastevorhang langsam wieder zu. Wenn man hier auch nur ein vages Anzeichen für den Aufenthalt des nun toten Mannes finden wollte, vielleicht ein Haar, eine Faser seiner Kleidung, einen Fingerabdruck – man müßte eine Horde Kriminaltechniker anfordern, die jeden Winkel untersuchten, und das mit Lupe oder Mikroskop.
    Ãœber Gedanken dieser Art hatte ich leichtsinnigerweise vergessen, daß ich mich unbefugt in einer fremden Behausung aufhielt, und deshalb kam der Schlag, den ich auf den Hinterkopf bekam, völlig unerwartet, als ich gerade begann, mich für die Kochnische zu interessieren.
    Jemand drosch mir einen sicher nicht für das Austeilen von Zärtlichkeiten gedachten Gegenstand auf die Frisur, und ich kam nicht einmal mehr dazu, das mit einem Fluch zu quittieren, weil

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