Schwarze Blüte, sanfter Tod
uns in der Hitze dort sogar geschmeckt!«
Ich bezweifelte das nicht. Aber ich kam auf meine Beobachtung zurück, zu der sie sich nicht geäuÃert hatte: »Die Disziplin in Ihrer Truppe ist streng â oder täusche ich mich da?«
»Absolut nicht«, gab sie zu. »Aber Sie dürfen nicht denken, daà das für uns aus dem Mutterland etwas Besonderes ist. Viele Leute hier in Hongkong vermuten das, aber es ist nicht so. Wir sind einfach von klein auf unter einer solchen Disziplin gewesen. Es fällt uns nicht mehr so sehr auf, das ist alles.«
Darüber brauchte sie mich eigentlich nicht aufzuklären, ich hatte das Mutterland ja schon besucht, und mir waren die Unterschiede bewuÃt geworden, wenn auch nicht alle Gründe dafür. Ebenso hätte ich kaum die unzähligen Gründe aufführen können, die aus uns Hongkonger Kolonialchinesen über die Generationen hinweg das geprägt hatten, was wir heute waren.
»Vermutlich funktioniert eine Truppe wie die Ihre nur, wenn eine bestimmte Disziplin sie zusammenhält ...«, versuchte ich einzulenken.
»Bei Ihnen hier funktioniert eine solche Truppe auch. Aber anders«, amüsierte sie sich. »Es ist hier nicht so leicht, überhaupt eine Rolle zu bekommen. Hat man sie, tut man alles, um sie zu behalten. Der Lebensunterhalt hängt davon ab. Man geht selbst noch zur Arbeit, wenn man krank ist, nur um nicht durch einen anderen ersetzt zu werden. Das Ergebnis ist ähnlich wie bei uns, meine ich, nur wird es durch andere Faktoren herbeigeführt ...«
Sie war klug. Ich sagte: »Sie lieben Ihre Arbeit, wie?«
»Natürlich!« gab sie mit entwaffnender Selbstverständlichkeit zurück. »Wir sind so verrückt erzogen, daà uns Arbeit sogar Spaà macht. Jede Arbeit. Und wenn jemand auf die Idee kommt, uns aus dem Job zu werfen, dann kann er das gar nicht, dagegen gibts nämlich Gesetze ...«
Das war bekannt. Es gab unter den Hongkongern von jeher Befürworter und Gegner dieser Verfahrensweise. Ich selbst hatte mich da nie entscheiden können. Aber aus purer Lust an der Sache stichelte ich jetzt: »Bloà wenn eines Tages der Parteisekretär des Ensembles bestimmt, daà beispielsweise Wei Wen-tang die Tochter des verschlagenen Beamten in Schönheit gegen Tyrannei nicht mehr spielen darf, dann gilt das, oder?«
Sie verlor ihre gute Laune nicht. Ein erstaunliches Mädchen. Statt mich böse anzusehen, nach dem beliebtesten Totschlag-Argument, das wir Hongkonger bei jedem Vergleich wie diesem bereithielten, lachte sie: »Das könnten wir noch ein paar Stunden so weiterführen! Ich glaube nicht, daà es Ihnen Spaà machen würde. Sagen Sie mir lieber, wie Sie sich nach einem Jahr der Einbürgerung fühlen, hier in Hongkong!«
»Sie wollen das wirklich wissen?« Es kam mir unwahrscheinlich vor. Mädchen aus dem Mutterland interessierten sich in aller Regel, wenn sie zu uns kamen, mehr für Boutiquen und Diskotheken, sie forsteten die Armani-Shops durch und die groÃen Kaufhäuser mit den Billigangeboten an Reizwäsche.
»Es interessiert mich«, bestätigte die Aktrice, und der Blick, mit dem sie mich dabei ansah, hatte nicht einmal ein winziges Quentchen von dem schlecht zu versteckenden Neid der Leute aus der Volksrepublik gegenüber einem Mann, der das Glück gehabt hatte, sein ganzes bisheriges Leben hier zu verbringen, im SchoÃe des gütigen britischen Kapitals, das aus des Hongkongers FleiÃ, seinem Einfallsreichtum und seiner Bescheidenheit â völlig selbstlos, natürlich! â das gemacht hatte, was man in der Gegend, in der der Yangtse noch schmal ist, gemeinhin als »Güldenes Leben« ansah.
Wollte sie mir Schadenfreude demonstrieren? Das Leben im SchoÃe des Mutterlandes seit einem knappen Jahr hatte uns nicht gerade glücklicher gemacht als wir es zuvor gewesen waren. Die Stimmen derer, die den Engländern ob ihrer langen Kolonialherrschaft grollten, waren leiser geworden.
Aber das hieà nicht, daà die Leute nun etwa durchweg die Rolle bejubelten, die Hongkong als kapitalistische Perle im Siegerkranz des sozialistischen Mutterlandes für weitere fünfzig Jahre spielen sollte. Man hatte schnell herausgefunden, daà sich vielmehr von nun an die Sünden beider Systeme bei uns die Hand reichten. Zu den unvermeidlichen Kapriolen, die wir gewohnt waren, gesellten sich nun noch die
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