Schwarze Blüte, sanfter Tod
plötzlich hoben die Lichtkegel der Handlampen die Rückseite eines Glashauses aus der Dunkelheit, eine Art Gewächs-haus, in dem wohl in den kühleren, vor allem in den regnerischen Monaten empfindliche Pflanzen aufbewahrt oder Stecklinge gezogen wurden. Und da war der Wasserhahn für einen Schlauchanschluà ...
Ai Wu lag genau darunter, in einer Pfütze, offenbar immer noch unfähig, sich zu erheben. Er hatte die Augen noch verbunden, mit einem Fetzen, der wie ein Autolappen aussah.
Als ihn einer der Polizisten jetzt von der Augenbinde befreite und ihn durch leichtes Klopfen auf die Schulter auf sich aufmerksam machen wollte, heulte er auf.
»Lassen Sie das lieber«, riet der Gärtner. »Er hat wohl ziemlich lange da gelegen, und dann immer ein Tropfen nach dem anderen, genau auf die Stirn. Nach ein paar Stunden tut das höllisch weh ... wie blaugeschlagen ... da muà ein Arzt helfen ... mir hat das noch mein GroÃvater erklärt, wie das gemacht wird ... eine teuflische Art von Folter ...«
Mir war es zwar nicht vom GroÃvater erklärt worden, aber ich kannte aus alten Akten bei der Polizei noch diese von unseren Urahnen, manchmal auch später von Triaden praktizierte Methode, einen Gefangenen zu quälen, jemanden zur Preisgabe von Geheimnissen zu bringen. Man fesselt ihn straff und sorgt dafür, daà ihm in Abständen von einigen Sekunden Wassertropfen mitten auf die Sirn fallen. Zuerst spürt der Betroffene das kaum, aber mit fortschreitender Zeit entsteht an der in so regelmäÃigen Intervallen von den Tropfen getroffenen Stelle zunächst ein leises, dumpfes Gefühl, das nach und nach zum Schmerz wird. Der steigert sich so, daà jemand, der diese Prozedur zu erleiden hat, schlieÃlich in panischer Angst auf den Aufprall des jeweils nächsten Tropfens wartet und von einer bestimmten Schmerzschwelle an dann beginnt, zu schreien.
Das hätte wohl auch Ai Wu getan, nur war er geknebelt gewesen, und so hatte der Gärtner, der zufällig in die Nähe kam, nicht viel mehr als ein Stöhnen oder ein leises Wimmern gehört.
»Holt denn niemand einen Arzt?« murrte Pipi.
Der Mann vom Kidnapping-Departement, der neben Ai Wu hockte und versuchte, aus ihm ein paar Worte herauszulocken, beruhigte sie: »Ist schon unterwegs ...«
Inzwischen machte der Gärtner, unablässig nervös seine Hände an der Gartenschürze reibend, seine Angaben: »Er muà schon länger hier gelegen haben. Um diese Jahreszeit kommt kaum jemand hierher. Und er war ja eben auch geknebelt. Aber er wimmerte leise. Als ich drüben an der anderen Seite des Gewächshauses die Karre mit dem Unkraut abstellte, um zu sehen, ob da drin alles in Ordnung war, hörte ich das ... Zuerst konnte ich mir die eigenartigen Laute nicht erklären, wuÃte auch nicht, woher sie kamen, aber dann schien es mir ... ich fand ihn ... dachte mir, das kann nur mit einem Verbrechen zusammenhängen ... wer macht sonst sowas ... daher ...«
Der Kidnapping-Mann rechnete. Dann sagte er: »Hat schätzungsweise vierundzwanzig Stunden unter der Leitung gelegen. Das bedeutet zwanzig mit gemeinen Schmerzen ...«
Die Ambulanz kam.
Der noch ziemlich junge Arzt lieà sich erklären, was eigentlich geschehen war. Er hatte mit dieser Art Quälerei keine Praxis und machte den Versuch, die etwas angeschwollene Stelle auf Ai Wus Stirn, wo die Tropfen aufgeprallt waren, abzutasten, was erneut ein Schmerzgeheul des Schauspielers zur Folge hatte. Nachdenklich lieà er ihn auf eine Trage heben und zum Wagen bringen, der auf der anderen Seite des Gewächshauses in der Zufahrt stand.
Während die Ambulanz abfuhr, suchte ich mit dem Kidnapping-Mann im Lichte der Handlampen nach möglichen Spuren. Aber wir fanden nichts. Keinen FuÃabdruck, keinen Zigarettenstummel, keinen verlorenen Gegenstand. Spezialisten pinselten den Wasserhahn mit Graphitpulver ein und forschten nach Fingerspuren.
Pipi langweilte sich indessen, bis sie sich sanft an mich wandte: »MuÃt du noch länger hier die Wiese begutachten? Oder können wir endlich weg. Bis Aberdeen ...«
Ich wuÃte, wie weit der Weg war.
»Wir fahren«, stimmte ich sie schnell gnädig. Es hatte keinen Sinn, hier weiter durch die Dunkelheit zu stolpern. Profis waren am Werk gewesen. Keine Spuren.
Ai Wu lebte, das war wichtig. Aber es bestätigte wiederum meine Vermutung, daà es jemand nicht
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