Schwarze Blüte, sanfter Tod
auf sein Leben abgesehen hatte, sondern vielmehr darum bemüht war, ihm Schmerzen zu bereiten. Ihn leiden zu lassen. Ob es nützlich sein könnte, nach diesem Vorfall noch einmal mit Eugene Hsu zu sprechen? Oder sah ich mich besser bei den Opernleuten aus Shanghai um? Immer noch schien mir dort der Schlüssel zu liegen. Ai Wu selbst, das befürchtete ich, würde mir nicht viel mehr sagen können, als ich ohnehin wuÃte. Oder sagen wollen ...
Es wurde eine ziemlich stille Heimfahrt. Pipi, müde vom guten Essen und durch die Sache in Kowloon nicht gerade gesprächig geworden, döste vor sich hin. Ich war mit meinen Gedankenkombinationen beschäftigt.
In Aberdeen, auf unserer Dschunke, die wir mit einem Wassertaxi schlieÃlich kurz vor Mitternacht erreichten, fiel mir Pipi um den Hals und flüsterte mir ins Ohr: »Du hast einen Beruf, für den könnte man dich stundenlang in den Hintern latschen!«
»Ich weiÃ, meine Kleine«, gab ich ihr Bescheid.
»Aber ich liebe dich Leichenaufspürer eben!«
Zum Trost versprach ich ihr: »In meinem nächsten Leben wähle ich einen anständigeren Beruf. Was hältst du von Eintänzer im Joe Bananas, oben in Lan Kwai Fong?«
Sie war so müde, daà sie gerade noch die Zähne fletschen konnte.
Am späten Vormittag war ich auf dem Weg nach Kings Park, als mir einfiel, daà ich zuvor den Versuch machen könnte, Wei Wen-tang zu besuchen. Vielleicht hatte die Jungoperndiva ja etwas mitzuteilen, was mir half.
Also bog ich in Richtung auf den Stellplatz des Zeltes der Operntruppe ab. Ich war so auf den morgendlichen Verkehr konzentriert, daà ich aus reinem Zufall nur einmal kurz vor der letzten Abbiegung einen Blick hinüber auf die andere Fahrbahn warf. Und da entdeckte ich ein bekanntes Gesicht am Lenker eines Ford, der eben aus der Richtung kam, in die ich fuhr. Der Mann war nicht zu verwechseln, ich hatte ihn ohne Maske gesehen, bevor er zu Dschao Gao wurde, dem durchtriebenen Opern-Ehrgeizling, der die eigene Tochter glattweg verkaufte, um seine Karriere auszubauen. Und ich hatte dieses Gesicht, bevor die bunte Maske es bedeckte, in Erinnerung, als er mich damals auf der Probe miÃtrauisch beäugte: Keng Do-lin, der Chef der Shanghaier Truppe!
Der silbergraue Lincoln, den er fuhr, trug die Telefonnummer eines Autoverleihs auf der Tür. Wohin mochte er unterwegs sein?
Ich überlegte nicht lange. An der nächsten Ãberfahrt manövrierte ich mich trotz des Protestes einiger Eiliger, die mit ihren Hupen ein Pop-Konzert veranstalteten, auf die Gegenfahrbahn, und nach ein paar Minuten hatte ich den Lincoln in Sichtweite vor mir.
Es ging, das begriff ich sogleich, nicht zum Standplatz des Opern-Ensembles, sondern in die eher entgegengesetzte Richtung. Und spätestens als wir auf der Nathan Road in die Nähe des Tin Hao Tempels kamen, begriff ich, daà Keng Do-lin dorthin wollte, wo ich mich erst kürzlich über Bobby Hsiang hatte anmelden lassen, und wohin ich auch unterwegs war, nämlich zum Kings Park, an dessen Rand sich das Queen Mary Hospital befand.
Ich täuschte mich nicht. Keng Do-lin steuerte die Südseite des riesigen Klinikgeländes an, gegenüber dem indischen Club mit seinen Tennisplätzen. Parkte das Auto dort, wo am späten Nachmittag die indischen Kaufleute ihre Fahrzeuge abstellten, und ging hinüber zum Südeingang der Klinik.
Bevor er hinter dem geriffelten Glas der Fronttür verschwand, konnte ich gerade noch sehen, daà er einen Strauà Chrysanthemen in der Hand hatte. Krankenbesuch mit Friedhofsblumen, dachte ich belustigt. Aber â vielleicht hatten sie ja im Mutterland darüber ganz andere Auffassungen ...
Wen mochte er besuchen? Höchstwahrscheinlich das kranke Mitglied seiner Truppe, jene Schauspielerin, die man hierher hatte schaffen müssen, wie Wei Wen-tang erzählte? Jedenfalls lag das am nächsten. Nun, ich würde es herausfinden, der Zufall war mir zu Hilfe gekommen. Zunächst würde ich warten, bis er seinen Besuch beendet hatte, weil es mir wenig nützlich erschien, wenn ich ihm in der Klinik etwa begegnete. Er könnte sich beobachtet fühlen, und das war das letzte, was ich verursachen wollte. Es könnte ihn noch vorsichtiger machen, als er ohnehin schon war. Verschlossener.
Neben dem Zugang zu den Tennisplätzen entdeckte ich eine der kleinen ImbiÃbuden, vor der ein paar Tische mit
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