Schwarze Blüte, sanfter Tod
Vater eines toten Kindes, und ich sah keinen Grund, ihm zu verschweigen, daà der Chef der Operntruppe, der sie gegenwärtig beschäftigte und der sie auch hier in der Klinik besuchte, wohl Zeuge des Ablaufes ihrer Lebenstragödie gewesen war. Vielleicht, so dachte ich, hilft es dem Arzt, bei ihrer Behandlung angemessener zu verfahren als bisher.
Für mich war in der letzten Stunde dieses Rätsel, zu dessen Lösung mich Ai Wu engagiert hatte, obwohl er selbst doch die Lösung kennen muÃte, zu einem halbwegs erkennbaren Bild geworden.
Der Arzt sagte einige Zeit, nachdem ich mit meiner Schilderung fertig war, nichts. Er blickte aus dem Fenster in den Park hinaus, überlegte. SchlieÃlich sah er mich an.
»Sie haben mir sehr geholfen, Mister Lim Tok!«
»Ich hoffe, ich habe damit Mià Yang Mou helfen können.«
Er ging mit mir zu der Tür, die von der Station in den Park führte. Zeigte mir aus einiger Entfernung Yang Mou, die auf einer der weiÃen Bänke saÃ. Sie wirkte selbstvergessen, wie sie so auf die Pinien blickte, die in einer langen Reihe am Rande der Wiese vor ihr aufragten.
»Sie wird sich freuen«, sagte mir der Arzt voraus. »Sie freut sich immer, wenn jemand sie besucht. Sie wird Ihnen vieles erzählen, sie erzählt gern. Unverständlich, wenn Sie nach Zusammenhängen suchen, aber immerhin. Vielleicht kann ich es ja jetzt, nachdem ich Ihnen zugehört habe, besser deuten ...«
Ich gab ihm meine Karte: »Wenn Sie mich brauchen sollten ...«
Er bedankte sich: »Ich werde es nicht vergessen. Und â grüÃen Sie mir Ihren Freund, Herrn Kommissar Hsiang ...!«
Er war kaum im Gebäude verschwunden, da sprang mich eine ältere Dame buchstäblich an und teilte mir aufgeregt mit: »Sie ... sie halten mich hier nur fest, weil ich das Gesicht nicht beschreiben kann ...! Denken Sie mal, der Kerl stand vor mir und lieà die Hose fallen ... wirklich ... einfach so!« Sie schlug in bühnenreif gespieltem Entsetzen die Hände vor die Augen: »Da war ... nun ja, ich lief weg! Aber sie glauben mir nicht, daà ich sein Gesicht nicht beschreiben kann ...! Das Gesicht ...! Ich darf nicht mal nachts ausgehen ... überhaupt nicht.«
Ich nahm davon Abstand, ihr zu erklären, wie ungerecht Gerechtigkeit sein kann. Man sah ihr ihre Krankheit nicht an, sie machte einen gepflegten Eindruck, ihre Frisur war ordentlich, und die Kleidung sauber. Ich hatte über Nervenkranke offensichtlich noch eine Menge zu lernen.
Ein paar Schritte lief die ältere Dame noch neben mir her, dann lieà sie von mir ab. Vereinzelt spazierten Frauen auf den gepflegten Kieswegen. Nur Frauen.
Männer schien es hier nicht zu geben. Eine Frauenstation. Manche saÃen auf Bänken, wie Mià Yang, andere einfach auf dem Gras der Wiesen, allein, oder in Grüppchen. Die Fälle, die hier behandelt wurden, konnten nicht zu den gefährlichsten gehören, denn es war nur hier und da eine weiÃgekleidete Schwester zu entdecken. Keine bulligen Wärter, nur die zierlichen Frauen in WeiÃ. Und auch Aggressivität schien es nicht zu geben, ebenso wie es keine auffälligen Zeichen von Hysterie gab.
Mià Yang war eine reife Frau. Sie trug ihr langes glänzendes Haar im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Ihre Augen in dem Gesicht, das wie gegerbt aussah und das Fältchen aufwies, hatten etwas Verlorenes. Ein Blick, von dem man glaubt, daà er eigentlich nichts wahrnimmt, weil der Mensch mit seinen Gedanken weit weg zu sein scheint von dem Platz, an dem er sich gerade befindet, Tausende von Kilometern, in einer anderen Welt. Und trotzdem, als ich vor ihr auftauchte, vermeinte ich, ein Lächeln in diesen Augen zu entdecken, ganz leicht nur deutete es sich an, aber es war da.
»Hallo, Mià Yang!« sagte ich, darum bemüht, es möglichst unbefangen klingen zu lassen.
»Hallo, Fremder!« Es hörte sich nicht anders an, als jede andere Frau es sagen würde, mit der Einschränkung, daà es mir um eine winzige, kaum wahrnehmbare Nuance einladender vorkam. Oder irrte ich mich da?
Als ich mich neben sie setzte, reagierte sie unbefangen. Sie schien sich nicht darüber zu wundern, daà ich ihren Namen kannte. Besaà sie überhaupt noch die Fähigkeit, sich über etwas zu wundern? Zu ärgern? Zu freuen?
Mir fiel ein, daà ich einen Blumenstrauà hätte mitnehmen sollen, denn neben ihr auf
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