Schwarze Blüte, sanfter Tod
der Bank lagen die Chrysanthemen, die ich zuletzt in den Händen von Keng Do-lin gesehen hatte. Pipi hätte mich einen taktlosen Barbaren geschimpft!
Da entdeckte ich auf der anderen Seite des Weges, am Rand der Wiese, eine kleine violette Blüte, ein Unkraut vielleicht, egal, es hatte Farbe. Ich lief hinüber und pflückte es. Hielt es der Frau mit einer tiefen Verbeugung hin: »Ich bin so froh, Sie zu sehen! Bei meinem nächsten Besuch werde ich eine Orchidee in der Hand haben, für Sie. Verzeihen Sie mir ...?«
Sie lächelte. Sah das Unkraut an, roch daran, drehte es zwischen den Fingern, und schlieÃlich sagte sie mit einer überraschend weichen, melodischen Stimme: »Ich habe diese Blüte immer geliebt ... Wir hatten sie zwischen den Steinen, dort ...«
»Aha!« machte ich.
»Und kleine Palmen gab es da ... winzig klein ... so ...« Sie spreizte Daumen und Zeigefinger etwa einen Zentimeter, um es anzudeuten. »Nur die Früchte waren riesig!« Nun beschrieb sie mit den Handflächen einen Kürbis. »Schmeckten gut! Wissen Sie, das andere Essen war immer faulig. Kalt auch. Aber die Palmenfrüchte waren süà â lieben Sie auch süÃe Früchte?«
»Ich muà es gestehen«, gab ich ahnungslos zu.
Sie lachte schallend: »Er gesteht! Hört Ihr, Genossen, er gesteht! Er hat alles gestanden! Er liebt Blumen und süÃe Früchte ...«
Sie wurde, als ob jemand das mit einem Schalter regelte, todernst und machte mich halblaut aufmerksam: »Sie müssen einen Mantel anziehen. Eine Parka. Es wird kalt. Und Da Fung kommt, der groÃe Wind. Es kann sie krank machen, wenn Ihnen die Kälte des Nordens ins Gebein kriecht ... wie so viele ... sie liegen dort ... sehen Sie ...«
Mit beiden Armen beschrieb sie einen Halbkreis, lachte aber dann wieder. Ihre dunklen Augen funkelten. »Da sind die Sampans auf dem Fluà ... sehen Sie, das andere Ufer ist nicht zu erkennen ... dort wohnen die Männer mit den Fellmützen ... da ... seien wir still, es kommt der ... er hat Ky in den Himmel geschickt ... das ist die Heimat der Langnasen ... sie haben sie ... ach, sie hätte das Kreuz nicht tragen dürfen ... selbst die Tiere haben die Köpfe gesenkt ... hören Sie mir zu?«
Ich versicherte ihr schnell, daà ich das tat, und daà ich nie Schöneres gehört hatte in meinem Leben. Es war seltsam, das wirre Durcheinander dessen was sie hervorsprudelte, fesselte auf eine unerklärliche Art. Es machte beklommen. Und wenn sie lachte, wie jetzt wieder, wurde einem der Rücken kalt.
»Ich bin Yü Tang Tschun! Ich bin Dschu Ying-tai, ich bin Dschao Gaos Tochter ... ich bin die Welt und die Herrin der Vögel! Sehen Sie ...!« Sie sprang auf und vollführte vor mir eine Reihe graziöser Bewegungen, spielte das Spiel der Finger, warf den Kopf in den Nacken, wie es in den alten Opern die Heldinnen zu tun pflegen, die sie genannt hatte, als ihre Inkarnationen.
Bald rang sie nach Atem. Lieà sich wieder neben mich auf die Bank fallen und versank in stilles Brüten.
Die violette Blüte hielt sie immer noch zwischen den Fingern.
Eine Weile machte ich mir Gedanken über die Wirrnis, die im Hirn der Frau herrschte, wobei man ihr das nicht etwa ansah â nicht die geringste Einzelheit deutete darauf hin, sie wirkte wie die Sekretärin eines einigermaÃen geschäftstüchtigen Anwalts. Wie die Gattin eines Beamten vielleicht, der jeden Morgen zur gleichen Zeit zur Arbeit aufbricht, sich mit einem Kuà verabschiedet, und am späten Nachmittag regelmäÃig und pünktlich wieder zu Hause ankommt, es sei denn, der Bus hatte Verspätung.
Den Weg entlang kam ein Paar. Vermutlich ein Mann, der seine Frau hier besuchte. Alte Leute. Beide grüÃten mit betonter Freundlichkeit zu uns herüber.
Ich erwiderte den Gruà etwas unsicher, aber ich sah, daà Yang Mou hocherfreut lächelte, sie winkte sogar, als sie zurückgrüÃte. Dann versank sie wieder in den Zustand, der an die Meditation bei Gläubigen erinnert, während der die Umwelt einfach nicht existiert, was immer auch geschehen mag.
Eigentlich hatte ich erfahren, was ich erfahren wollte. Mehr sogar. Ãberraschendes. Keng Do-lin hatte Mià Yang Mou, die ehemalige Freundin Ai Wus aus Shanghaier Tagen besucht, deren Leben nicht zuletzt durch Ai Wu so tragisch verlaufen war. Weil er es nicht hatte wahrhaben wollen,
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