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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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daß es sein Kind gewesen war, das das Mädchen »Bessie« dort oben in einem Arbeitslager zur Welt gebracht und begraben hatte. Der so getan hatte, als habe er sie kaum gekannt, als sie nach der Qual wieder in Shanghai Fuß zu fassen versuchte. Wer immer Ai Wu nachstellte, wer ihn durch Leiden bestrafen wollte – er operierte in Kenntnis dieser Geschichte, sehr wahrscheinlich aus tiefem Groll darüber, der alle Bedenken negierte. War das Keng Do-lin? Wenn ja, was trieb ihn an? Entrüstung über den unmoralischen Star Ai Wu? Wie stand er sonst zu Yang Mou, außer daß er ihr Chef war?
    Dies alles würde zu ermitteln sein, nachdem nun erst einmal der Schlüssel gefunden war. Als meine Gedanken zum Schicksal der Frau zurückkehrten, bemerkte ich, daß ihr Blick beinahe träumerisch über die weite Wiese schweifte, die sich jenseits des Kiesweges dehnte. Und gleich darauf sagte sie schwärmerisch, mit einer eleganten Handbewegung: »Wie ein grünes Meer ...! Das grüne Meer der Ewigkeit. Voller Blumen ... winzige Tiere ...«
    Ich ergänzte, ohne weiter nachzudenken: »Sehr schön, ja, nur – ein paar Kinder fehlen ... Wenn die da herumtollen würden, ihre Spiele treiben – das Bild wäre der reine Friede ...!«
    Ich merkte es zu spät. Sie wurde blitzartig still. Ihr Gesicht veränderte sich. Wurde verschlossen. Hart. Ihr Blick ging nach unten. Weg vom grünen Gras der Wiese zum zertrampelten Kies zwischen ihren Schuhen. Dorthin warf sie die violette Unkrautblüte. Dann weinte sie. Zitterte. Fiel buchstäblich in sich zusammen.
    Ich versuchte, so sanft wie möglich auf sie einzureden, sie abzulenken, aber sie reagierte nicht mehr auf meine Worte. Sie rückte von mir weg ans Ende der Bank. Dorthin, wo Keng Do-lins Chrysanthemen lagen. Ihr Weinen wurde ungehemmter, ihre Zähne schlugen aufeinander.
    Was sollte ich tun, wenn sie jetzt aufsprang und Amok lief? Ich erhob mich und ging zum Gebäude zurück, wo eine der Krankenschwestern herumstand, wohl um auf Unregelmäßigkeiten zu achten. Als ich sie aufmerksam machte, war sie nicht sehr überrascht. Ging zu Miß Yang und setzte sich neben sie. Legte ihr eine Hand auf die Schulter.
    Im Korridor traf ich den Arzt, der sich freundlich erkundigte, was für einen Eindruck ich gewonnen hätte. Ich gestand ihm: »Doktor, ich habe einen Fehler gemacht. Er wurde mir erst bewußt, als es zu spät war. Ich habe von Kindern gesprochen ...«
    Er sah mich nachdenklich an. Überlegte. Ich machte ihn aufmerksam: »Das Baby, dort oben in der Mandschurei, das sie verlor ...«
    Allein die Erwähnung von Kindern hatte genügt, um diesen Schock bei ihr auszulösen. War die Erinnerung an den Verlust ihres Kindes auch der sehr verspätete Auslöser für ihren Zusammenbruch überhaupt gewesen?
    Der Arzt hielt mir die Hand hin: »Mister Lim Tok, ohne es zu ahnen haben Sie uns da vielleicht zu einer Einsicht verholfen, die uns fehlte. Wir haben das mit dem Kind nicht gewußt. Und wir hätten es wahrscheinlich unterschätzt, wenn wir es gewußt hätten. Als nächstes werden wir die Behandlung darauf einstellen ...«
    Er ging in den Park hinaus, auf die Bank zu, wo inzwischen Yang Mou ihren Kopf an die Schulter der Schwester gelehnt hatte, die ihr über das Haar strich, eine Gebärde, die aus der Entfernung trostloser aussah, als sie es wohl wirklich war.
    Wei Wen-tang konnte ungestört mit mir sprechen, denn Keng Do-lin war noch nicht wieder zurück. Er hatte angerufen, er habe noch etwas zu erledigen. Das Mädchen erzählte mir viel, aber es war vorerst nichts Neues darunter. Sie hatte fast alle Angehörigen der Truppe nach Miß Yang befragt und lediglich identische Antworten bekommen: eines Tages war Yang Mou bei der Truppe erschienen, habe mit Keng Do-lin gesprochen, der sie aus Shanghai noch kannte, wie er später sagte, und sie in sein Ensemble aufnahm. Sie entpuppte sich als gute Schauspielerin, füllte die klassischen Opernrollen hervorragend aus, und dabei war sie, wie Wei Wen-tang sagte, eine gute Kollegin. Niemand in der Truppe hatte jemals Streit mit ihr gehabt, im Gegenteil.
    Â»Es muß sich nach und nach entwickelt haben«, erzählte sie mir dann auf meine Frage, ob es zwischen dem Chef der Truppe und Yang Mou denn ein besonderes Verhältnis gegeben habe. »Wir merkten erst nach einer ganzen Weile, daß die beiden

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