Schwarze Blüte, sanfter Tod
Gesellschaft NZTC einen Ausgleich zahle. Aber das war wohl nicht so sehr von Belang für mich. Was mir die ganze Zeit wie ein schwer zu lösendes Rätsel vorgekommen war, hatte diese reizvoll unscheinbare Dame mit der Guccibrille in Sekunden aufgeklärt.
»Sie sind ein Phänomen!« versicherte ich ihr.
Sie nahm das gelassen. Lächelte ein biÃchen und lieà dann verlauten: »Es war mir ein Vergnügen, Ihnen zu helfen. GrüÃen Sie Mister Blondel!«
Das würde ich tun, versicherte ich ihr. Und ihm auÃerdem empfehlen, sie in seinem Blättchen anzustellen. Aber das sagte ich ihr vorsichtshalber nicht. Wecke nie unerfüllbare Wünsche, sagte einer unserer alten Weisen. Denn unerfüllte Wünsche machen Leute böse.
T I G E R W O N G
»Karate â Studio â Kung Fu«
Zu übersehen war das Schild nicht. Auch am Abend würde man darauf aufmerksam werden, denn der Schrift waren bunte Glühbirnen unterlegt. Offenbar war die langgestreckte Halle an der Ecke der Pitt Street einmal ein Lagerhaus gewesen. Die Fassade war schmucklos. Es gab eine Menge abgestellter Fahrräder unter den hohen Fenstern. Auch einige Autos parkten auf der etwas breiteren Canton Road. Ich suchte mir einen Platz. Und dann entschied ich mich, erst einmal zu warten. Warum war ich nicht selbst darauf gekommen, daà es sich bei den sich vierzehntäglich wiederholenden Eintragungen in Mià Silvas Kalender um die Termine für Karate-Stunden in diesem Studio handelte? So schwer war es doch wahrlich nicht gewesen. Wenn auch »Ti. Wo.« mich irritiert hatte.
Und nun? Was wollte ich hier? Mià Silva wiedersehen? In ihren Dress gekleidet? Wenn sie ihren heutigen Termin wahrnahm? Ich wurde selten auf mich selbst wütend, doch nun war ich genau da angekommen. Kurz entschlossen stieg ich aus und begann einen Spaziergang, der mich wieder auf vernünftige Einfälle bringen sollte. Und beruhigen.
Ich ging das kurze Stück bis hinunter zur Ferry Road und setzte mich am Wasser auf eine der Bänke, von denen aus man den Taifunhafen überblicken konnte. Bald hatten mich die Geräusche, die Farben, die Gerüche der immer noch unvergleichlichen Gegend eingefangen. Yau Ma Tai schob mir das Polster hin, auf dem ich träumen konnte.
Dies hier war der älteste Teil des alten Kowloons. Die massiven Dämme weit drauÃen riegelten eine Bucht ab, in der selbst die starken Stürme den tausenden von Bootsbewohnern auf ihren Sampans und Dschunken nichts anhaben konnten.
Die »Wassermenschen« lebten hier ihr eigenes Leben. Ihre Tradition reichte Jahrhunderte zurück, obgleich es viele neue Bewohner der Bucht gab, die aus ganz anderen, modernen Gründen dieses Dasein dem auf dem Festland vorzogen. Den Touristen, besonders den an Travellitis leidenden Europäern wurde weisgemacht, es sei die Armut, die hier zu sehen sei, und nur die Armut. Sie glaubten es. Wie vieles, was ihnen in Hongkong erzählt wurde. Und in China! SchlieÃlich sei Hongkong einmal, bevor die Engländer es sich aneigneten, der gröÃte Piratenschlupfwinkel weit und breit gewesen. Diese seien sozusagen deren nach Generationen friedlich gewordene, verarmte Nachfahren ...
Richtig war, daà die Wasserbewohner nur ungern an Land gingen. Von der Geburt bis zum Tod blieben sie auf ihren schwankenden Planken. Selbst wenn sie heirateten, taten sie das nicht auf dem Festland. Unzählige Dienstleistungen gab es in diesem Wald von Masten, die sich leicht unterm Wind wiegten. Man konnte sich die Zukunft weissagen lassen, woanders eine Krabbensuppe löffeln, konnte sich einen Drachen auf die Brust tätowieren lassen, oder auf den Hintern und anschlieÃend nebenan die Künste eines Akupunkteurs in Anspruch nehmen. Es gab Leute, auf deren Boot wurden defekte Uhren repariert. Andere schrieben Liebesbriefe für Einfallslose, die keinen glaubwürdigen Schwindel für ihre Freundin fabulieren konnten. Hemden wurden hier genäht oder gebügelt und Urkunden gefälscht. Würdig aussehende Alte mit weiÃen Kinnbärten verabreichten Kräutermischungen, die gegen Nierensteine halfen oder bei Stuhlverstopfung. Stämmige Landfrauentypen offerierten Massagen gegen schmerzende Rückenmuskeln. Auf Wunsch auch an jeder anderen Stelle des Körpers. Wieder andere stellten Gebisse her und Glasaugen. Nebenan klickten die Mah-Jong-Steine. Goldschmiede weiteten Ringe oder wechselten echte
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