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Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Schwarze Blumen auf Barnard Drei

Titel: Schwarze Blumen auf Barnard Drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Leman
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forderten wirklich dazu heraus, sie so zu deuten, wie es Jermakow getan hatte, als Richtantennen. Sie ließen keine andere Auslegung zu, als beschreibe die Frau etwas so Einfaches wie einen Würfel oder ein Parallelogramm.
      Indessen hätte der Zuhörer, um zu einem so eindeutigen Text zu kommen, ihre Rede in viele Abschnitte zerschneiden und neu zusammensetzen müssen wie ein Mosaik. Mitten in Sätzen, die sie begann und abbrach, ja, in nicht zu Ende gesprochenen Wörtern brachte sie Bilder und Begriffe einer ganz und gar unpassenden und abwegigen Art des Denkens und Empfindens unter, Widersprüche, Sinnlosigkeiten.
      Ana schilderte die Stille dieses Waldes aus schwarzen Gewächsen, die so anhaltend und tief gewesen sei, daß sie das Flüstern des Wassers in ihn habe dringen lassen, des Flusses, der weit hinter ihr lag.
      Zugleich aber war von anderem Geflüster die Rede wie von einem Bestandteil dieser Stille, von hastigen, durch Zwänge behinderten Mitteilungen und von Rufen unsinnlicher Natur, die nicht zu hören gewesen seien, die Ana dennoch vernommen zu haben vorgab. Rufe, Erschütterungen, Schreie als reiner Ausdruck ohne Adressat, Bilder, bittere Töne, die zwischen den Blumen umherirrten. Sie seien einfach dagewesen, Sinnbilder schlimmer Empfindungen, Furcht, Wehrlosigkeit, Schmerz, das Ächzen übermäßiger Anspannung.
      Ana hatte sich beruhigt und endlich auf einen der Stühle niedergelassen, und ihre Stimme drang tief und rauchig zu Jermakow hin. »All das sind nur Löcher«, sagte sie, »ich stopfe die Löcher mit Wörtern zu. Ich habe keine anderen.« Sie blickte geradeaus auf den Mann, der vor den hurtigen grünen Sekunden hockte wie ein Stein, ohne Atem und als hätte er diese Sekunden zu bewachen vergessen. »Antennen? Ein Kalkül, das mich frieren macht. R zehn, R zwanzig. Da tut einer das Senfkorn ab wie eine mit schlampiger Technologie gefertigte Kugel.« Ihre Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt und schickten neugierige Blicke durch den Raum. Die Schatten gewannen Gestalt und nahmen das Aussehen von hin und her bewegten Dingen an, von Zeugnissen beharrlicher, immer neu begonnener und aufgegebener Versuche, von Improvisation, Hoffnung, Hast und Erfolglosigkeit. Ana erhob sich plötzlich und räumte den Wirrwarr auf den Panels auf.
      Geschirr klapperte, Metall glitt über Plast, wenn sie Reste abgebrochener Mahlzeiten zusammenschob, gelegentlich innehaltend mit einem Blick auf die schnurgerade Linie der Matrjoschkas oder um nach Worten zu suchen, denn sie setzte ihre Rede von den schwarzen Blumen fort, sprach von Reizen, geschwängerter Luft, Lockung, Versprechen von Zärtlichkeit und Rausch in sonderbarer Gleichzeitigkeit mit Angst, Abwehr, Zurückweisung und Widerstand.
      Dies alles lief ihr nicht glatt von der Zunge, und sie füllte die Lücken bedenkenlos mit Kritik über den Zustand der Messe, die Unordnung, den Schlendrian. Sie hatte drastische Worte zur Hand, nach denen sie diesmal nicht lange zu suchen brauchte, und brachte sie wie mit wohlmeinender Strenge vor, als habe eine Mutter mit ihren Kindern zu schelten. »Antennen?« sagte sie. »O ja, die sind schon etwas. ein endlich gefundenes Fressen. Ich sehe Boris sich über diese Antennen hermachen. Lehrreiche Bilder werden auf seinen Schirmen flimmern. Von frequenzmodulierten Wellen wird er reden, von Fourier und Mikrosekunden. Er wird soviel wissen hernach. So gründlich wird er Bescheid wissen, wie Bücherläuse von der Weisheit chinesischer Schriftrollen wissen, nachdem sie sie gefressen haben. Schaut nach, was man sendet! Dann werdet ihr alles wissen. Alles über sie. So einfach ist das.«
      Ganz plötzlich verharrte sie und blickte mit so weit geöffneten Augen auf die durcheinandergewürfelten Dinge um sich her, als sehe sie etwas gänzlich Neues und Bedeutendes. »Der schwarze Wald…«, sagte sie, »es

    geht ihnen nicht gut. Was sie da treiben am Fluß, hat etwas… Verzweifeltes an sich.«

      Jermakow antwortete zunächst sehr vorsichtig. »Es ist genug, Ana«, sagte er, »ich habe dich verstanden. Wir neigen dazu, verschwommene Bilder mittels Phantasie zu ergänzen, bis sie so sind, wie wir sie haben wollen. So wie es unseren Wünschen entspricht. Das ist ein Trick, der gleiche Trick wie in psychologischen Tests, mit denen man etwas über uns selbst an die Oberfläche holt, was wir nicht kennen oder was wir verbergen wollen. Das Format der Dinge, derentwegen wir hier sind, ist ein paar Nummern zu

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