Schwarze Blumen auf Barnard Drei
anzusprechen. Erst eine Stunde später erhielt der Vorfall Gewicht.
Plötzlich und nach ebendieser Stunde gellten Schreie durch das Haus, langgezogene Schreie einer Frau. Man rannte dorthin. Rahel trommelte mit den Fäusten gegen die Lukenscheibe und schrie. Lampoo scheuchte die Leute zurück. Judys Zuspruch, die einwiegende Wärme ihrer Hände und ihres Leibes, die sie auf Rahel übertrug, während sie die Rasende umfing, und die Wirkung eines Tranquilizers beschwichtigten Rahels Gebrüll zunächst zu kurzatmigem Wimmern wie das eines verstörten Kindes und brachten auch dies endlich zu nur von Schluckauf unterbrochener Ruhe.
Der Ausbruch förderte zwei Umstände zutage, die man unter dem Eindruck des laufenden Countdown übersehen hatte: Die Ausguckluken waren undurchsichtig geworden, beschlagen oder sonstwie erblindet, und Orlow fehlte im Haus.
Der Leutnant lokalisierte den Mann mit Hilfe des Ortersystems in unmittelbarer Nähe der Stationsantennen und beorderte ihn über die Außenlautsprecher ins Haus zurück. Als er sich davon überzeugt hatte, daß jetzt auch dieser Ruf nach draußen in den Lautsprechermembranen versackte, Orlow ihn folglich nicht hören konnte, schickte er Tschuk und Blicher hinaus, um den Mann unverzüglich hereinzuholen.
Während die Männer der Weisung folgten, erschien Judy bei Jermakow und berichtete, Rahel habe Römisch drei Beryll über der Station beobachtet und zugesehen, wie das Gestirn, wie alle Sterne erloschen. Der Abstand sei weg, der Nebel sei über die Häuser gekommen wie eine Fliegenklatsche.
Ein optischer roter und ein akustischer Rufer lenkten Jermakows Aufmerksamkeit auf das interne Display. Tschuk meldete denselben Sachverhalt im Gebaren des Nebels aus der Schleuse, die er eben verlasse.
Der Leutnant quittierte, er wisse das schon, Judy, ein wenig atemlos, redete inzwischen über irgendwelchen Wadenkrampf, den Rahel habe kommen sehen, daß aber Lampoo nichts dergleichen habe feststellen können. Jermakow schnitt Judys Rede ab, schickte die Frau weg und suchte zu verfolgen, was draußen los war.
Es ging dort weniger vor sich, als er wünschte. Zeit verstrich, und die BECKMESSER-Uhr überschritt den Beginn der zweiundsechzigsten Stunde. Jermakow regelte die Lautsprecher der Außenmikrofone auf Anschlag, das gewohnte Schweigen des Draußen, das sie einfingen wie eh und je, verwandelte sich in Rauschen. Er regelte die Lautsprecher zurück. Dann hörte er Stimmen, weit entfernt oder wie von einer Wand gedämpft. Männerstimmen, Flüche. Tschuk und Blicher. Plötzlich war da die Stimme einer Frau. Anas Stimme. Sie sollten nachgeben. Sie sollten tun, was man verlange, um Gottes willen sollten sie tun, was von ihnen verlangt werde. Derartiges glaubte er zu verstehen, bis die beschwörende Stimme mitten im Satz verging. Jermakows Finger handhabten das Potentiometer des Lautsprechers wie eine Mikrometerschraube, fing aber nur Stille ein. Er lauschte noch immer der Frauenstimme nach, während er wartete. Es verstrich eine bleierne halbe Stunde.
Jermakow war nur auf schwächste Geräusche eingestimmt und überhörte das Schnarren des Rollos. Der Mann stand plötzlich da, in voller Außenmontur und ohne Gesicht, der Helm, der Mann und die Boxen in seiner Hand waren von glitzernden Eisnadeln überkrustet. Dann klappte der Helm wie der Deckel einer Insektenpuppe auf und entblößte einen schwarzhaarigen, glotzäugigen Kopf. Der Leutnant, jäh aus seinem Brüten gerissen, sprang auf, blieb mitten in der Bewegung stecken. »Boris?« fragte er verwirrt.
Orlow nahm zwei große, brillenartige Gläser von den Augen und brach in herzhaftes Lachen aus. Das Gelächter brachte Jermakow dermaßen aus der Fassung, daß er noch Augenblicke die Haltung halben Aufbruchs beibehielt. Ehe er es verhindern konnte, hatte Orlow die Boxen an den BECKMESSER angeschlossen, die ganze Reihe der Monitore flammte auf, grieselndes Silber floß zu zwei gemusterten Bändern zusammen, die sich von links nach rechts über sämtliche Schirme spannten. »So machen sie das«, sagte Orlow. Mit den Funken kindlich anmutender Begeisterung sahen seine Augen wie schwarze Perlen aus.
Jermakow betrachtete die Projektion eingehend. Er schob die Brille auf die Stirn und suchte in der Art Weitsichtiger, sich nähernd oder entfernend, die richtige Distanz zum Bild bald dieses und bald jenes Schirms. »Wer?« fragte er, ohne den Blick von der Grafik wegzunehmen.
Orlow zog die
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