Schwarze Blumen auf Barnard Drei
bist du für einer, Schichow?« fragte sie, als sie vor ihm stand. »Was bist du für ein Mensch?« Es schien, als warte sie wirklich auf eine Antwort und, da der Mann schwieg, als müsse sie selbst nach der Antwort suchen. »Ein Gaukler«, brachte Ana dann hervor, heiser und Schichow geradenwegs ins Gesicht. »Ein mieser, geschickter, verlogener Scharlatan. Du machst uns betrunken mit deiner Gaukelei. Betrunken mit Fusel. Das ist dies alles und sonst nichts.«
»Crash down. Jetzt«, sagte der Mann am Rechner.
Die Strukturen verschoben sich auf dem Schirm, Abstraktes erstarrte zu Dingen, Glut erkaltete zu Grau. Und dann stand nur noch ein Bild vieler wartender Flaschen dort, des Abraums einer Stadtsektion, inmitten der Menge eine einzige Flasche aus grünem Glas.
Ana nahm davon nichts wahr. Ihr Gesicht schien aus dem Dunkel wie ein blasser Mond, nur die Lippen brannten und schleuderten schneidende Worte gegen den Mann, einen jäh ausufernden Schwall von Schmähungen ohne Maß und Rechtfertigung. Ana schrie. »Raus! Hau ab! Verschwinde!« schrie sie, ein zitterndes Bündel von Zorn und Verlassenheit.
Trägheit der Masse nagelte Schichow fest, wo er stand. Er begann zu lachen, als ihn die Worte ansprangen, aber das Lachen geriet ihm zur Grimasse, als er die Augen der Frau erblickte. Sein Kinn schien fast ganz zu verschwinden, und es war nur noch eine Geste, als er den Arm hob, um die Schläge der Mappe abzuwehren, mit der ihn die Frau angriff. Schichow wich einen Schritt zurück, wandte sich ab und ging.
Boboschkin eilte auf Ana zu. »Raus! Alle!« schrie sie ihm entgegen und hob den ungefügen Karton.
Hernach und allein saß sie auf dem Teppich vor der Projektion. Noch immer stand das Bild der Flaschen dort. Sie zog einen ihrer Schuhe aus, während Tränen von ihren Wangen tröpfelten, und schleuderte den Schuh an die Rechnerfront. Irgendein Ticken zerhackte den Lauf der Zeit zu Sekunden. Ana warf auch den zweiten Schuh. Diesmal erlosch das Bild, und den Raum erfüllte nur noch Finsternis.
16.
Feierlich wurde das Wasser des Flusses begrüßt, als es endlich aus den häuslichen Hähnen quoll. Die Feier wuchs sich alsbald zur Orgie aus. Man trank, man ließ sich förmlich mit diesem Wasser vollaufen. Man duschte, und das Schmeicheln der sacht herabfallenden Tropfen weckte ausschweifende Empfindungen auf der Haut, die Lust des Überschreitens heilig ernst gesetzter Grenzen. Das Wissen, mehr als dreißig Liter dieses Stoffes zu vergeuden, nur um sich den Leib damit zu begießen, entfachte Schauer animalischer Zufriedenheit. Und in wunderbarer Weise stattete die Phantasie das Wasser mit Leben, Köstlichkeit und Frische aus und mit all dem Duft und den erträumten Zeichen, die ihm die Prozeduren der Sterilisation und Zähmung in Wahrheit längst entzogen hatten.
Hernach und zu schnell verblaßte die Gabe zu einem gewöhnlichen Bestandteil ihres Alltags. Aber das blieb nicht der einzige Verlust. Unmerklich verloren die Tage an Glanz und zogen sich in die Länge wie Wege, die aus den Hügeln in die Ebene münden. Man wurde sich des Glanzes erst bewußt, als er erloschen war, der fröhlichen Solidarität im Angesicht des Ziels, der Kraft zu Großmut im gemeinsamen Schaffen, des Vergnügens an der Schwierigkeit. Hinter erfüllten Wünschen lauerte die Leere.
Der Freiraum füllte sich mit Reizbarkeit. Nur Giron und Rahel wußten wirklich und genau, ob Ana vor oder während der Wassereuphorie zu Jermakow gegangen war, aber niemand fragte sie danach. Jetzt erinnerte man sich: Ana ging zu Jermakow. Unerhört lange blieb die Klause geschlossen. Mutmaßungen, Scherze, beiläufig, überflutet von näherliegendem Betrieb; ein empfindlicher Giron, irgend jemandes Betulichkeit, Rahels? Dann das Wesentliche: Es war ein Schatten Anas, auf den man danach traf. Der Mangel an Gegenwart dieser Frau wirkte wie ein Virus, der lähmend um sich griff.
Dennoch dröhnte Gesang aus der Duschkabine, die tapfere Intonation einer Arie heroischen Charakters, die für größere Räume geschrieben war als den einer Kabine von achthundert Millimetern mal achthundert Millimetern im Geviert, Klatschen von Händen auf nasse Haut skandierte den Takt des nicht ganz reinen Vortrags. Es war Tschuks Stimme. Tschuk sang nicht aus reinem Badeübermut, die Art seiner Vernunft hieß ihn positive Gefühle festhalten, solange sie festzuhalten waren. Als im Vorraum etwas Metallenes schepperte, hielt er im Singen inne und
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