Schwarze Blumen auf Barnard Drei
ist ein großer und anerkannter Bildermacher.«
»Anerkannt? Möglich«, sagte Boboschkin. »Er hat sich Platz in den richtigen Speichern verschafft, und nun reden die Leute von ihm.«
»Aber Anatoli«, sagte Ana, »ich glaube, Sie hören mir gar nicht zu.« Sie passierten einen Schwibbogen voller Verkehrsindikatoren. Anas Mund öffnete sich vor Aufmerksamkeit, als sie die Informationen zu erhaschen versuchte, und die Lichter weckten farbenprächtiges Gefunkel auf dem Band, das sie sich auf die Stirn gemalt hatte. »Er macht einen so gehetzten Eindruck«, sagte sie, »finden Sie das nicht auch?«
»Ich hörte, wie er einigen Leuten erklärte, was er von Ihnen hält.«
»Er war eben geboren, als man Pilze in der Lunge seiner Mutter feststellte, und Sie wissen, was das heißt. Sein Vater nahm sich eine andere Frau und hatte dann niemals mehr Zeit für ihn und seine Geschwister, sie sind in die Welt verstreut, er kennt sie kaum – eine unglückliche Familie. Und ich glaube, auch er ist weniger glücklich, als er glauben machen will.«
Boboschkin blickte auf Anas großen Mund hinab, der so viele Informationen in so kurzer Zeit hervorzusprudeln vermochte. »Schichow hat eine bewegende Art an sich. Ich weiß, wie er mit den Leuten umgeht, die um ihn sind, und mit den Mädchen, die auf ihn fliegen, und mit seinen Modellen«, sagte Boboschkin vorsichtig.
»Er hat nicht einmal Kinder. Man läßt dem Mann nicht einmal Zeit, Kinder zu haben.«
»Sie streuen Ihr Mitgefühl umher wie der Rayon Abrechnungsformulare für alle möglichen Initiativen«, sagte Boboschkin, »großzügig und wahllos.«
Auf der Schnellbahn nebenan fuhren einige junge Leute vorbei und riefen ihnen etwas zu. Ana schrie zurück, sie kannte die Leute, winkte mit weit ausholendem Arm und schrie noch immer, als der Schwarm längst in der hinabfahrenden Menge verschwunden war. »So geht das immer«, sagte sie, »niemals ist Zeit.« Und dann verwundert: »Wie kommen Sie darauf? Man muß ihn gern haben. Hören Sie, Anatoli, Sie sind ein herzloser Mensch.«
Wieder war Boboschkin von der Direktheit des Blickes betroffen, mit dem Ana zu ihm hinaufsah, dem es an jeder Spur von Schalk, Unernst oder irgendwelcher heiteren Unverbindlichkeit mangelte und der ihre Worte mit solchem Anspruch belud, daß es ihn verwirrte, weil er nicht gewohnt war, ihre Worte anders aufzunehmen als so viele andere, die allenthalben dahingesagt wurden. »Nun gut«, sagte er, plötzlich entschlossen und so hart, wie man es von einem Mann seiner Statur erwarten mochte, »er meinte, Ihre Arbeiten sehen so aus, als seien Sie zu feige, um irgendwann einmal etwas Bedeutendes zu machen. Kunst müsse die Menschen aufscheuchen, und Sie erschöpften sich in Konservenbüchsen, Suppentellern und Knöpfen. Sie erschöpften sich, so genau drückte er sich aus.«
»Ach«, sagte Ana, »etwas Bedeutendes. Wissen Sie, was das ist?« Sie versank im Anblick der Lichterketten, die ihnen den Weg in scheinbar bodenlose Tiefe vorzeichneten, und ihre Finger glitten über den Kunststoff des mitlaufenden Geländers, der vom Zugriff ungezählter Hände glattgeschliffen war. »Das ist alles schlimm für einen, der Bilder macht.«
Boboschkin betrachtete die Spitzen seiner Schuhe, die ein Stück über die rollende Stufe hinausragten, und dicht neben diesen Schuhen erblickte er ein Paar sehr kleiner und bloßer Mädchenfüße auf der geriffelten Fläche. Ana trug ihre Schuhe in der Hand. »Sie denken niemals etwas Böses über jemanden«, sagte er wütend.
Plötzlich sprang Ana von der Treppe mitten in die Menschenmenge auf dem fliegenden Perron und zog den Mann hinter sich her. Boboschkin balancierte gefährlich an der Kante. Preßluft zischte, blitzschnell blähte sich die Barriere und drückte den Mann in die Menge. Erschreckte Rufe. »He, he«, rief auch Ana mit dem Blick rückwärts auf die orangefarbene Blase, die schon wieder zu schrumpfen begann, »das ging gut, nicht wahr? Wir fahren nicht ins Zentrum und nur bis zur zweiten Station«, bestimmte sie unverzüglich, »und dann zum Newaprospekt. Es sind so grauenhaft viele Leute hier. Ich muß raus. Ich brauche Luft und Himmel und Wasser. Ja, Wasser. Wir werden schwimmen gehen.« Sie tauchten im Gedränge unter. »O doch«, sagte sie und lachte. »Aber ich kann mir niemals merken, wem ich böse bin.«
Boboschkin atmete noch ein wenig kurz. Er bemerkte die Grübchen in
den Wangen des Mädchens,
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