Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
die beschwerliche Bergung zweier Leichen aus dem Wasser überwacht.
Hannah hatte mit ausdrucksloser Miene vom Ufer aus zugesehen.
Sich, so gut es ging, zusammengerissen.
Der Suchtrupp hielt nach der Frau Ausschau, die zusammen mit Dawson gesehen worden und möglicherweise ebenfalls im Wasser geendet war. Doch bei keiner dieser beiden Leichen handelte es sich um die Frau. Vielmehr hatten sie vielleicht, dachte Hannah, mit einem der Kreuze auf einer alten Landkarte zu tun.
Jetzt versuchte sie einfach nur, Haltung zu bewahren. Trotz der Desinfektionsmittel und Chemikalien hier drinnen stank es nach dem Fluss. Sie musste an Schlamm und Algen, an stehende Tümpel in tiefen Wäldern denken.
»Das hier sind die Überreste der ersten Person.« Dale blieb beim nächstgelegenen Tisch stehen. »Vorerst nenne ich diese Leiche Opfer A, da sie als Erste aus dem Fluss geborgen wurde. Dem ersten Anschein nach handelt es sich um ein vollständiges Skelett, wenn auch in mehrere Teile zerlegt.«
Hannah strich sich mit den Fingerrücken über die Lippen. Opfer. Sie versuchte, dieses Wort – und das dazugehörige Gegenstück: Mörder – aus dem Kopf zu bekommen, und so konzentrierte sie sich mit aller Macht auf die Leichen.
Bei den meisten Menschen ist die Vorstellung von Skeletten durch Gespenstergeschichten und Kinderkritzeleien geprägt: glatte, leuchtend weiße Knochen, pechschwarze Augenhöhlen; ein nahezu freundliches Grinsen, eine knatternde Piratenflagge. Die Realität war davon meilenweit entfernt. Die Knochen, neben denen Dale jetzt stand, sahen organisch, doch kaum menschlich aus. Der Schädel war zwar zu erkennen, doch selbst er erinnerte Hannah eher an alte, braune Töpferwaren, die nach vielen Jahren aus der Erde geholt wurden. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass einmal ein Gesicht darübergespannt gewesen war und dass sich darin Gedanken und Emotionen gespiegelt hatten.
Die Tatsache, dass der Körper nach dem Tod zu Erde wird, war eine Binsenweisheit und natürlich wahr. Fleisch verwest; Zellen zerfallen; Moleküle lösen sich auf. Irgendwann geht der Körper eines Menschen im Kreislauf von Werden und Vergehen auf, seine physische Essenz wird von der Welt absorbiert und zu etwas Neuem umgeformt. Aus diesem Grund gab es in einigen Kulturen Mythen über Bäume, die auf Friedhöfen wachsen. Doch beim Anblick der Überreste, die sie jetzt vor sich hatte, musste Hannah denken, dass auch das Gegenteil der Fall war. Als Opfer A langsam verweste, hatte es offenbar auch Eigenschaften seiner unmittelbaren Umgebung angenommen. Hatte der Fluss die Leiche absorbiert, so auch die Leiche den Fluss. Arm- und Beinknochen waren zu Zweigen verwittert, die Hände und Füße moosgrün gesprenkelt. Die Rippen waren nicht glatt, sondern wie die Wurzeln eines umgestürzten Baums rauh und gewunden. Auf der linken Seite waren einige gebrochen und nach innen gebogen, als tasteten sie nach dem längst nicht mehr vorhandenen Herzen.
»Wie meinen Sie das, in mehrere Teile zerlegt?«, fragte Hannah.
Dale winkte ab.
»Ich hab mich falsch ausgedrückt. Die Leiche hat ziemlich lange im Wasser gelegen, ich würde sagen, mindestens mehrere Jahre. In einer solchen Umgebung – noch dazu bei der starken Strömung des Flusses – verwundert die fortgeschrittene Ablösung der Gelenke nicht. Ich meine, wir haben über die Jahre beide genügend Füße im Wasser treiben sehen.«
»Aber die Leiche wurde nicht zerstückelt?«
»Es gibt keine Werkzeugspuren an den Knochen.«
»Verstehe.« Immerhin etwas. »Und was können Sie mir bis jetzt sagen?«
Dale verzog das Gesicht. »Nicht viel mehr, als dass es sich bei Opfer A um einen ausgewachsenen Mann handelt. Ich versuche, einen forensischen Anthropologen hinzuzuziehen, der – oder die – das Alter des Opfers besser bestimmen kann und wie lange es im Wasser gewesen ist. Aber ich kann nichts versprechen. Andererseits haben wir wenigstens ein gutes Gebiss zur Identifizierung. Anders als bei Opfer B.«
Fürs Erste konnte Hannah den Anblick von B nicht ertragen. Zum Glück deutete Dale mit einer Kopfbewegung auf einen triefend nassen Haufen Stoff auf dem Seziertisch neben dem ersten Opfer. »Vielleicht können wir auch einen Teil von As Kleidern identifizieren, wenn wir das da erst mal aufgedröselt haben.«
»Todesursache?«, fragte Hannah.
»Auch das lässt sich vorerst unmöglich mit Sicherheit sagen. Allerdings gibt es eine eindeutige Schädelverletzung, und ich würde sagen, das
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