Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
kleiner, doch bekannter Picknickplatz am Rande der Huntington Woods. Hannah bog auf den Parkplatz ein. Am anderen Ende standen Holzbänke und dahinter lag eine große, zu beiden Seiten von Wald gesäumte Wiese. Hier parkten noch drei andere Autos, und auf der Wiese tummelten sich Familien. Sie hörte das Gelächter zweier Kinder, die auf dem Gras Fangen spielten. Am Himmel schwebte ein Drachen.
Das Gelände verdankte seinen Namen den großen Findlingen, die wie eine Kruste ans andere Ende der Wiese grenzten. Es gab dort eine Böschung, die an einigen Stellen immerhin steil genug war, um von erfahrenen Kletterern erklommen zu werden, und so war der Platz das ganze Jahr über recht gut besucht.
Folglich konnte auch hier nichts vergraben sein, auch hier sagte ihr die Logik, dass dies kein Ort war, um etwas loszuwerden, denn alles, was man hier auf die Schnelle entsorgte, würde ebenso schnell entdeckt. Und um etwas mit größerer Umsicht zu verbergen, gab es zweifellos weitaus geeignetere Stellen.
Was bedeuteten diese Stellen für dich, Dad?
Das vierte Kreuz.
Hannah legte den Rückwärtsgang ein und fuhr weiter.
Wenige Minuten später hielt sie auf einem Platz mit altem, spärlich verstreutem Schotter vor den Trümmern des Wetherby Cottage. Es lag auf halber Strecke an einer der schmalen Straßen zwischen Whitkirk und Huntington. Vielleicht nicht gerade abgelegen, aber auch nicht befahren. Wie die Rocks führte sie am Rand der Huntington Woods vorbei. Genauer gesagt strömte nur etwa eine Meile nördlich von hier der Fluss unter dem Viadukt hindurch, wo ihr Vater sein fünftes und letztes Kreuz angebracht hatte.
Die Stelle hier ist schon vielversprechender, oder?
Die Frontseite des Haupthauses – eines breiten, niedrigen Gebäudes, zu Lebzeiten sicher einmal so weiß wie Fischfleisch getüncht – stand offenbar noch. Im Tod allerdings war sie grau, aufgeweicht und altersschwach. Von den Fenstern waren nur leere Löcher geblieben, an denen Schmarotzerpflanzen wucherten. Um die Ecke war eine Seitenwand nach innen eingefallen. Das Dach fehlte offensichtlich schon lange.
Seit Jahren verfallen. Aber …
Was ist hier?
Oder was war hier, als du dieses Kreuz gemacht hast?
Hannahs Handy vibrierte an ihrer Hüfte. Sie nahm es heraus.
Barnes.
Ohne dranzugehen, spulte sie das Gespräch im Kopf ab. Und wenn er noch so ein ausgemachtes Arschloch war, hätte er mit dem, was er sagte, wieder einmal recht.
Tut mir leid, Sir, dachte sie. Ich hab’s nicht klingeln gehört.
Doch davon unabhängig müsste sie jetzt an bestimmten Orten sein und bestimmte Arbeiten erledigen. Banale Kleinigkeiten angesichts ihrer Entdeckungen, mag sein, doch nicht im Hinblick auf ihren Alltag und das, was man von ihr erwartete. Und unterm Strich ging es um die Frage, die ihr auf dem Weg in die Mulberry Avenue in den Sinn gekommen war: Wieso tat sie sich das an – wieso setzte sie alles aufs Spiel und ritt sich selber immer tiefer in die Scheiße?
Weil ihr nichts anderes übrigblieb. Wenn sie ihren Vater verlor – nicht nur physisch, sondern ihre guten Erinnerungen an ihn –, dann verlor sie alles, was sie in ihrem Selbstverständnis nie in Frage gestellt hatte. Und es war zu spät, die Sache einfach zu vergessen oder die Augen davor zu verschließen. Jetzt musste sie Bescheid wissen.
Andererseits wurde es Zeit, ein bisschen mehr auf sich aufzupassen. Sie sollte aufs Revier zurückkehren und nachsehen, ob Neil Dawson sich auf die Nachricht, die sie ihm hinterlassen hatte, zurückgemeldet hatte. Falls nicht, sollte sie versuchen, ihn aufzutreiben. Bis dahin gab es hundert andere Dinge, die sie hinsichtlich der zwei gefundenen Leichen in Angriff nehmen sollte.
Alles im Wesentlichen, um den Schein zu wahren.
Doch der Schein war jetzt wichtig.
Hannah blinkte und fuhr auf die Straße, in den mäßigen Verkehr. Falls sie hier Ermittlungen anstellte, wartete sie besser den richtigen Zeitpunkt ab. Als sie sich auf den Rückweg zu ihrer Dienststelle machte, sah sie, wie das zerfallene Bauernhaus hinter ihr allmählich verschwand.
Später, dachte sie.
Vielleicht schauen wir uns dich später mal genauer an.
14
I ch nahm die Küstenstraße nach Whitkirk. Sie verlief vom Rand der Klippen Richtung Norden und führte zunächst durch eine Reihe kleinerer Dörfer mit ihren begrünten Plätzen, Ferien-Cottages und geschlossenen Kunstgewerbeläden. Der Himmel war bedeckt, doch klar, die Wolken über dem Meer wirkten wie lieblos hingeschmierte
Weitere Kostenlose Bücher