Schwarze Diamanten (Bruno Bd 3)
zweiundvierzig Meter an den Zaun
seiner Fabrik heranreichte.
Nach der neuesten Verordnung war der geforderte Mindestabstand nun um
acht Meter unterschritten.
„Ich habe die Schnauze voll von diesem grünen Unsinn“, hatte Pons
während der letzten, hitzig geführten Ratsdebatte geschimpft. „Wenn ihr die
Jobs, die ich bereitstelle, und meine 200 000 Euro Steuern im Jahr nicht wollt,
muss ich eben dahin gehen, wo meine Arbeitsplätze willkommen sind.“
Bruno hatte gehofft, die Betriebsschließung könnte ohne weiteren Ärger
vonstatten gehen: dass Pons einfach seine Fabrik abschließen und Saint-Denis
erhobenen Hauptes verlassen würde, während die ecolos, die
Umweltaktivisten der Stadt, ihren Triumph in aller Stille auskosteten. Was aber
in den Cafes und an den Marktständen zu diesem Thema zu hören gewesen war, ließ
anderes befürchten. Bruno hatte mit Bürgermeister Gerard Mangin darüber
diskutiert, ob es ratsam wäre, die Gendarmerie zur Verstärkung hinzuzuziehen,
aber in Anbetracht der tölpelhaften Art von Capitaine Duroc Abstand von dieser
Idee genommen. Der Einsatz der Gendarmen wäre als Vorsichtsmaßnahme nur dann
sinnvoll gewesen, wenn nicht Duroc, sondern sein Stellvertreter, der sehr viel
besonnenere Sergeant Jules, das Kommando geführt hätte. Wie nun die Dinge
standen, wussten der Bürgermeister und Bruno, dass sie sich nur auf sich
selbst und das über viele Jahre erworbene Vertrauen ihrer Mitbürger verlassen
konnten.
Es waren mehr Menschen zusammengekommen als erwartet, aus Neugier und vielleicht
auch aus dem Gefühl heraus, dass eine Epoche zu Ende ging und die
Holzindustrie, die über Jahrhunderte Saint-Denis am Leben erhalten hatte, nun
der Vergangenheit angehörte. In Kriegszeiten und während der Revolution, in
Zeiten von Aufschwung und wirtschaftlichem Rückgang hatten die Bäume dieser
Gegend immer dafür gesorgt, dass es genug Fässer für Wein und Boote für ihren
Transport gab. Sie lieferten das Holz für Balken, Bohlen und Möbel in
unzähligen französischen Haushalten, für die Pulte in Schulräumen und das
Feuer in den Kaminen. Aus Walnussbäumen wurden Öl und Nahrungsmittel
gewonnen, und die jungen grünen Früchte lieferten die Grundlage für den
heimischen vin de noix.
Viele Leute konnten sich auch daran erinnern, dass die Kastanienbäume in
den schweren Zeiten des Vichy-Regimes und der deutschen Besatzung mit ihren
Früchten das Mehl für eine Art Brot geliefert hatten.
Bei der Schließung des Sägewerks ging es für die Einwohner von
Saint-Denis deshalb um sehr viel mehr als nur um Arbeitsplätze. Das konnte
Bruno nachempfinden, als er die Pensionäre vom Seniorenheim in kleinen
Grüppchen die Straße entlangschlurfen sah. Die Älteste, Rosalie Prarial, wurde
von Pater Sentout gestützt. Sie war die einzige Einwohnerin der Stadt, die
noch behaupten konnte, 1918 den
Ausmarsch junger Männer zu den letzten Kämpfen des Ersten Weltkriegs gesehen
zu haben. Wie viele der anderen Pensionäre hatte Rosalie ihr Leben lang im
Sägewerk gearbeitet, anfangs noch unter der Leitung von Boniface' Großvater. Montsouris,
das einzige kommunistische Ratsmitglied der Stadt, hatte sich als Lokführer
offenbar einen freien Tag genommen. Er war in Begleitung seiner noch viel
radikaleren Frau. Ihnen folgte eine Delegation der Handelskammer. Bruno
runzelte erstaunt die Stirn. Es war schon ein seltenes Ereignis, dass die
Linken und die städtischen Kleinunternehmer für dieselbe Sache demonstrierten.
Die halbe Stadt schien sich versammelt zu haben, und Bruno befürchtete,
dass die meisten von ihnen nicht glücklich über diesen Erfolg der Grünen sein
würden. Aber er wusste auch, dass seine Mitbürger recht ausgeglichen und
gesetzestreu waren. Während es bei ähnlichen Veranstaltungen durchaus zu
gewaltsamen Unruhen kommen konnte, hatten sich seine Leute nicht in Kampflinien
aufgestellt. Vielmehr bildeten sie kleinere und größere separate Gruppen. Ein
bisschen wie auf einer Beerdigung, dachte Bruno, so, als würden sich die
Trauergäste aus Respekt vor der Familie im Hintergrund halten.
Der Bürgermeister stand unter den Bäumen, die das Rugbyfeld
eingrenzten, und schien bewusst Abstand zur Menschenmenge und zu den Toren des
Sägewerks zu halten. Neben ihm stand der Baron, der größte Landbesitzer der
Gegend und Brunos Tennispartner und Freund. Albert, der Chef der städtischen
Feuerwehr, war ohne Uniform erschienen und rauchte Pfeife. Um die Ecke der
Sozialbausiedlung kam ein
Weitere Kostenlose Bücher