Schwarze Diamanten (Bruno Bd 3)
Anblick Hercules, ehe
dessen Tod eintrat.
Er hing an seinen im Rücken gefesselten Händen von einem Ast herab. Die
Schultergelenke schienen ausgekugelt zu sein. Der verrenkte Hals zeugte noch
von den Qualen, die er in dieser grauenvollen Haltung hatte ertragen müssen,
konnte aber das Blut nicht erklären, das sein Hemd durchtränkt hatte und unter
ihm am Boden zusammengelaufen war, und auch nicht die entstellte untere
Gesichtshälfte.
„O Gott, seine Zunge“, flüsterte der Baron. Durch den aufgeschlitzten
Hals gezogen, hing sie vor Hercules Brust.
„Nichts anfassen!“, sagte Bruno und zog sein Handy aus der Tasche. So
tief im Wald gab es keinen Empfang. Er konnte Hercule nicht berühren, ohne in
die Blutlache zu treten, die noch nicht getrocknet war. Am Rand hatte sich im
Zuge der Retraktion des Blutserums bereits eine dünne gelbe Schicht abgesetzt.
Sein Tod schien vor mindestens dreißig Minuten eingetreten zu sein, vielleicht
vor einer oder zwei Stunden. Mit Brunos forensischen Kenntnissen, die er vor
Jahren erworben hatte, war es nicht mehr weit her.
Bruno warf einen Blick in die Hütte und sah Hercules Flinte mit offenem
Verschluss neben einem Beil und einer Handvoll Kienspäne auf dem Tisch liegen. Seine
Jacke hing über einer Stuhllehne. Anscheinend war der Alte beim Holzhacken
überrascht worden. Bruno trat ein und klopfte die Jackentaschen ab. Darin
steckten noch die Brieftasche und die Schlüssel für den Landrover. Bruno
wickelte ein Taschentuch um die Hand, zog den Schlüsselbund hervor und steckte
ihn ein.
Da war noch etwas. Er zog mit dem Finger den Taschenrand nach außen und
entdeckte einen Gegenstand, der in Zeitungspapier eingewickelt war und einen
verräterischen Duft verströmte. Hervor kamen zwei prächtige schwarze
Wintertrüffeln - tuber melanosporum, zusammen gut
ein halbes Kilo schwer und so frisch, dass Hercule sie noch am Morgen geerntet
haben musste, vielleicht kurz bevor er sich darangemacht hatte, für den cassecroûte Feuer zu
machen. Es wäre wohl nicht im Sinne Hercules gewesen, wenn sich jemand anderes
als seine Freunde die Trüffeln schmecken ließen. Also nahm Bruno sie an sich,
zeigte sie dem Baron und steckte sie in seine Tasche.
„Bleib hier, und pass auf, dass die Hunde nicht an das Blut gehen. Ich
laufe jetzt los und rufe an“, sagte er zum Baron. „Und halt die Augen auf. Ich
bin so schnell wie möglich wieder zurück und pfeife, wenn ich den Pfad heraufkomme,
damit du weißt, dass ich es bin.“
Der Baron warf ihm die Schlüssel für den Jeep zu, ging in die Hütte und
hockte sich vor dem Ofen auf den Boden.
„Da kommt einiges auf uns zu“, sagte er.
„Wie meinst du das?“
„Hercule war ein barbouze, und zwar ein
hochrangiger. In den zuständigen Ministerien werden die Telefone Sturm läuten,
denn er war bestimmt im Besitz von Geheimmaterial, das, wenn es in die
falschen Hände gerät, die Republik ins Wanken bringen kann.“
„Davon hast du mir nie etwas gesagt.“
„Das war auch nicht nötig - bis jetzt.“ Der Baron deutete mit einer
Kopfbewegung nach draußen auf den hängenden Leichnam. „So etwas habe ich seit
dem Algerienkrieg nicht mehr gesehen. Da wollte sich jemand eindeutig rächen.“
„So wird nicht nur in Algerien hingerichtet“, entgegnete Bruno. „In
Südamerika spricht man von einer kolumbianischen Krawatte. In Sarajevo habe
ich damals immer wieder Leichen so zugerichtet gesehen, bosnische Muslime,
denen man Verrat vorgeworfen hatte. So werden Verräter gefoltert.“
„Darüber solltest du sie aufklären“, sagte der Baron.
„Wen? Die Armee?“ Hatte Hercule für das Deuxieme
Bureau, also für den Auslandsnachrichtendienst, oder den sdece , den Dienst
zur Auslandsdokumentation und Gegenspionage, gearbeitet? Bruno schwirrte der
Kopf, als er an all die Geheimdienste dachte, die seit Jahrzehnten ihr Schattendasein
führten und verdeckt ermittelten, um Frankreichs Sicherheit zu schützen. „Ich
kenne jemanden bei den Renseignements Generaux, mehr aber
auch nicht.“
„Dann ruf diesen Jemand an, und sag ihm, dass Hercule ein barbouze war, in
Indochina, Algerien und bei der oas. Er wird dann wissen, was zu tun
ist.“
Bruno machte sich auf den Weg. Er mied den Pfad, weil sich dort
womöglich Spuren finden ließen, und behielt die Umgebung aufmerksam im Blick.
Bevor er die Lichtung erreichte, auf der der Jeep und der Landrover parkten,
verlangsamte er seinen Schritt und wich zur Seite aus, um sich den Fahrzeugen
von der
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