Schwarze Engel
geraucht und willst mir sagen, wie ich aufhören soll und daß ich es schon überstehen werde?«
»Entschuldige. Ich wollte dir nur helfen.«
»Wie gesagt, vielen Dank.«
Er sah auf ihren Computer und nickte.
»Was sonst noch? Wie kommst du darauf, Sam und Kate Kincaid könnten damit so maßgeblich zu tun haben, daß wir sie auf ihre Rechte hätten aufmerksam machen sollen?«
»Sie müssen es gewußt haben.« Rider war überrascht, daß Bosch nicht sah, was sie sah. »Der Mann auf den Fotos, das muß Kincaid sein.«
»Moment mal!« sagte Edgar. »Woher willst du das wissen? Du hast das Gesicht von dem Kerl doch gar nicht gesehen. Wir haben eben mit diesem Typ und seiner Frau gesprochen, und sie waren immer noch fix und fertig wegen dieser Geschichte. Das war nicht bloß Theater.«
Jetzt begann es Bosch zu dämmern. Als er die Fotos auf dem Bildschirm gesehen hatte, hatte er zunächst gedacht, sie wären vom Entführer des Mädchens aufgenommen worden.
»Willst du damit sagen, daß diese Fotos schon älter sind? Daß sie schon vor ihrer Entführung mißbraucht wurde?«
»Ich will damit sagen, daß es wahrscheinlich gar keine Entführung gab. Stacey Kincaid war ein mißbrauchtes Kind. Ich würde sagen, ihr Stiefvater hat sie geschändet und dann wahrscheinlich umgebracht. Und das geht an sich nicht ohne das stillschweigende Wissen, wenn nicht sogar Einverständnis der Mutter.«
Bosch schwieg. Angesichts des Nachdrucks und Schmerzes in Riders Stimme fragte er sich unwillkürlich, ob sie aus persönlicher Erfahrung sprach.
»Wißt ihr«, sagte Rider, die offensichtlich die Skepsis ihrer Partner spürte. »Es gab mal eine Zeit, da dachte ich, ich würde gern zur Abteilung für Sexualverbrechen an Kindern gehen. Das war, bevor ich mich fürs Morddezernat bewarb. In der Gefährdete-Kinder-Einheit in Pacific hatten sie eine freie Stelle, und wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie haben können. Zuerst schickten sie mich allerdings zu einem zweiwöchigen Lehrgang, den das FBI in Quantico einmal im Jahr über Sexualverbrechen an Kindern abhält. Eine Woche hielt ich durch. Dann wurde mir klar, daß ich das einfach nicht packen würde. Ich kam zurück und bewarb mich fürs Morddezernat.«
An diesem Punkt verstummte sie, aber weder Bosch noch Edgar sagten etwas. Sie wußten, da war noch mehr.
»Aber bevor ich das Handtuch warf«, fuhr Rider fort, »bekam ich genügend mit, um zu wissen, daß die meisten Fälle von Kindesmißbrauch innerhalb der Familie oder im engsten Freundes- oder Verwandtenkreis passieren. Die furchterregenden Ungeheuer, die durchs Fenster klettern und ihre Opfer entführen, sind eindeutig die Ausnahme.«
»Trotzdem ist das in diesem speziellen Fall noch kein Beweis, Kiz«, machte Bosch vorsichtig geltend. »Hier könnte es sich trotzdem um die seltene Ausnahme von der Regel halten. Es war zwar nicht Harris, der durchs Fenster kam, aber dieser Kerl.«
Er deutete auf ihren Computer, aber zum Glück waren die Bilder von den Dingen, die der Mann ohne Kopf mit Stacey Kincaid anstellte, nicht mehr auf dem Bildschirm.
»Niemand kam durchs Fenster«, erklärte Rider bestimmt.
Sie zog einen Ordner zu sich heran und schlug ihn auf. Bosch sah, er enthielt eine Kopie von Stacey Kincaids Obduktionsbefund. Rider blätterte darin, bis sie zu den Fotos kam. Sie fand das gesuchte und reichte es Bosch. Während er es ansah, begann sie im schriftlichen Teil des Befunds zu blättern.
Das Foto, das Bosch in der Hand hielt, zeigte Stacey Kincaids Leiche an der Stelle und in der Stellung, in der sie gefunden worden war. Ihre Arme waren weit ausgebreitet. Sheehan hatte recht gehabt. Ihr Körper wurde wegen der inneren Verwesung schon dunkel, und das Gesicht war ausgezehrt, aber dennoch haftete ihr in ihrer Ruhe etwas Engelhaftes an. In Bosch krampfte sich alles zusammen beim Anblick des Mädchens, erst gequält und jetzt tot.
»Sieh dir das linke Knie an«, sagte Rider.
Das tat er und sah eine runde dunkle Stelle, die wie getrocknetes Blut aussah.
»Eine verschorfte Wunde?«
»Genau. Laut Obduktionsbefund hatte sie sie sich fünf oder sechs Tage vor ihrem Tod zugezogen. Also bevor sie entführt wurde. Demnach muß sie diese Verletzung die ganze Zeit über gehabt haben, die sie sich in der Gewalt ihres Entführers befand – falls es wirklich einen solchen gab. Auf den Fotos im Internet hat sie keinen Schorf am Knie. Wenn du möchtest, kann ich noch mal zurückgehen und es dir zeigen.«
»Ich verlasse mich
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