Schwarze Engel
nicht an, und von seinem alten Partner war keine Spur zu sehen. Er ging den Flur hinunter und hielt das Ohr an die Tür des Gästezimmers. Nichts zu hören. Er sah auf die Uhr. Es war noch nicht mal elf.
»Frankie?«
Keine Antwort, nur das Geräusch des Regens auf dem Dach. Er klopfte vorsichtig an die Tür.
»Frankie?« Etwas lauter.
Immer noch nichts. Bosch legte die Hand um den Knauf und öffnete langsam die Tür. Alle Lampen im Raum waren aus, aber vom Gang fiel Licht über das Bett, und Bosch konnte sehen, daß es leer war. Er tippte auf den Wandschalter, und eine Nachttischlampe ging an. Die Tüte, in die Sheehan seine Sachen gepackt hatte, lag leer auf dem Boden. Seine Kleider waren in einem Haufen auf dem Bett.
Boschs Neugier wich leichter Besorgnis. Er ging rasch wieder in den Flur zurück und sah kurz in sein Schlafzimmer und die Bäder. Von Sheehan keine Spur.
Zurück im Wohnzimmer, ging er eine Weile auf und ab und überlegte, was Sheehan gemacht haben könnte. Er hatte kein Auto. Es war ziemlich unwahrscheinlich, daß er den Hügel hinunter in die Stadt gegangen war – und wo hätte er außerdem hingehen sollen? Bosch nahm das Telefon und drückte die Wahlwiederholungstaste, um zu sehen, ob Sheehan vielleicht ein Taxi gerufen hatte. Es hörte sich nach mehr als sieben Tönen an, aber die Wahlwiederholung erfolgte so schnell, daß Bosch nicht sicher war. Nach dem ersten Läuten meldete sich eine verschlafene Frauenstimme.
»Ja?«
»Äh, mit wem spreche ich bitte?«
»Wer ist da?«
»Entschuldigung. Ich bin Detective Harry Bosch vom LAPD. Ich versuche festzustellen, welcher Anschluß zuletzt von diesem Apparat –«
»Harry, ich bin’s, Margie Sheehan.«
»Oh … Margie …«
Er hätte sich denken können, daß Sheehan sie anrufen würde.
»Ist irgendwas, Harry?«
»Nein, nichts, Margie. Ich versuche nur Frankie zu finden, und ich dachte, vielleicht hat er ein Taxi gerufen. Tut mir leid, daß ich dich –«
»Was soll das heißen, du versuchst ihn zu finden?«
Er konnte die wachsende Beunruhigung in ihrer Stimme hören.
»Es besteht wirklich kein Grund, sich Sorgen zu machen, Margie. Er wollte heute bei mir übernachten, und ich mußte noch mal weg. Jetzt komme ich gerade nach Hause, und er ist nicht da. Ich versuche nur rauszukriegen, wo er sein könnte. Hat er heute abend mit dir telefoniert?«
»Vor einer Weile.«
»Was machte er für einen Eindruck? Okay?«
»Er hat mir erzählt, was sie getan haben. Daß sie ihm die Schuld in die Schuhe schieben wollten.«
»Nicht mehr, das hat sich erledigt. Deshalb bleibt er vorerst bei mir. Wir haben ihn rausgeholt, und jetzt taucht er hier ein paar Tage unter, bis sich die ganze Aufregung gelegt hat. Es tut mir wirklich leid, daß ich dich geweckt –«
»Er meinte, sie würden ihn noch nicht in Ruhe lassen.«
»Was?«
»Er glaubt nicht, daß sie ihn laufenlassen. Er traut keinem, Harry. Bei der Polizei. Außer dir. Daß du sein Freund bist, weiß er.«
Bosch schwieg. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
»Harry, sieh zu, daß du ihn findest, ja? Dann ruf mich wieder an. Egal, wie spät es ist.«
Bosch blickte durch die Glastür, die auf die Veranda führte, und aus diesem Winkel sah er etwas auf dem Geländer der Veranda. Er ging zur Tür und machte die Außenbeleuchtung an. Auf dem Geländer standen fünf bernsteinfarbene Bierflaschen aufgereiht.
»Okay, Margie. Gib mir deine Nummer.«
Er notierte sich die Nummer und wollte gerade aufhängen, als sie sagte: »Harry, er hat mir erzählt, du hast geheiratet und bist schon wieder geschieden.«
»Also, geschieden bin ich noch nicht, aber … du weißt schon.«
»Ja, ich weiß. Jedenfalls alles Gute, Harry. Finde Francis, und dann ruft mich bitte einer von euch beiden an.«
»Okay.«
Er legte das Telefon weg, öffnete die Schiebetür und ging auf die Veranda hinaus. Die Bierflaschen waren leer. Er wandte sich nach rechts, und dort, auf der Liege, lag die Leiche von Frankie Sheehan. Das Polster über seinem Kopf und die Wand neben der Schiebetür waren voll Blut und Haaren.
»Gütiger Gott«, entfuhr es Bosch.
Er trat näher. Sheehans Mund stand offen. Es hatte sich Blut darin gesammelt, und etwas davon war über seine Unterlippe gelaufen. Oben an seinem Kopf befand sich eine untertassengroße Austrittswunde. Der Regen hatte das Haar an den Kopf geklatscht und die schreckliche Wunde noch deutlicher sichtbar gemacht. Bosch trat einen Schritt zurück und sah sich auf den Planken
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