Schwarze Engel
der Veranda um. Direkt neben dem linken vorderen Bein der Liege sah er eine Pistole liegen.
Bosch machte noch einen Schritt nach vorn und sah auf die blutüberströmte Leiche seines Freundes hinab. Er atmete mit einem lauten animalischen Laut aus.
»Frankie«, flüsterte er dann.
Ihm schoß eine Frage durch den Kopf, aber er sprach sie nicht laut aus.
Habe ich das getan?
Bosch beobachtete, wie einer der Männer von der Gerichtsmedizin den Leichensack über Frankie Sheehans Gesicht zuzog, während die zwei anderen Regenschirme hielten. Dann legten sie die Schirme beiseite und hoben die Leiche auf eine fahrbare Bahre, breiteten eine grüne Decke darüber und schoben sie durchs Haus zum Vordereingang. Bosch mußte aufgefordert werden, Platz zu machen. Während er beobachtete, wie sie zur Eingangstür gingen, packten ihn erneut heftige Schuldgefühle. Er blickte zum Himmel hoch und stellte fest, daß zum Glück keine Hubschrauber da waren. Keiner der Notrufe und Einsatzbefehle war über Funk erfolgt. Das hieß, die Medien wußten noch nichts von Frankie Sheehans Selbstmord. Um die Entwürdigung seines ehemaligen Partners perfekt zu machen, hätte nur noch gefehlt, daß ein Nachrichtenhubschrauber über dem Haus geschwebt wäre und die auf der Veranda liegende Leiche gefilmt hätte.
»Detective Bosch?«
Bosch drehte sich um. Deputy Chief Irving winkte ihm von der offenen Schiebetür. Bosch ging ins Haus und folgte Irving an den Eßzimmertisch. Agent Roy Lindell stand bereits dort.
»Dann lassen Sie uns mal über die Sache sprechen«, begann Irving. »Draußen stehen zwei Streifenpolizisten mit einer Frau, die behauptet, Ihre Nachbarin zu sein. Adrienne Tegreeny?«
»Ja.«
»Was ja?«
»Sie wohnt nebenan.«
»Sie behauptet, vor einer Weile aus Richtung Ihres Hauses drei oder vier Schüsse gehört zu haben. Sie dachte, Sie wären es, und rief deshalb nicht die Polizei.«
Bosch nickte nur.
»Haben Sie in Ihrem Haus oder auf der Veranda schon einmal eine Waffe abgefeuert?«
Bosch zögerte, bevor er antwortete.
»Chief, hier geht es nicht um mich. Belassen wir es doch einfach dabei, sie könnte Gründe zu der Annahme gehabt haben, daß ich es war.«
»Gut. Worauf ich hinauswill, ist: Es scheint, als hätte Detective Sheehan getrunken – viel getrunken – und ein paar Schüsse aus seiner Waffe abgefeuert. Wie sehen Sie das Ganze?«
»Wie ich es sehe?« Bosch starrte verständnislos auf den Tisch.
»Versehentlich oder absichtlich?«
»Ach so.«
Fast hätte Bosch gelacht, aber er beherrschte sich.
»Ich glaube nicht, daß es da viel herumzudeuteln gibt. Er hat sich erschossen. Selbstmord.«
»Aber es gibt keinen Abschiedsbrief.«
»Kein Abschiedsbrief, nur ein paar Flaschen Bier und zwei, drei Schüsse in den Himmel. Das war sein Abschiedsbrief. Das sagt alles, was er zu sagen hatte. So machen Cops ständig ihren Abgang.«
»Wir haben ihn doch heimgeschickt. Warum dann so etwas?«
»Also … das müßte doch eigentlich klar sein …«
»Dann seien Sie so gut und machen es uns klar, ja?«
»Er rief heute abend seine Frau an. Ich habe hinterher mit ihr gesprochen. Sie meinte, sie hätten ihn zwar nach Hause geschickt, aber er dachte, es wäre nur vorübergehend.«
»Wegen der Ballistik?« fragte Irving.
»Nein, ich glaube nicht, daß er das gemeint hat. Ich glaube, er war sich über die Notwendigkeit im klaren, diese Sache jemandem anzuhängen. Einem Cop.«
»Und deshalb hat er sich umgebracht? Klingt nicht sehr einleuchtend, Detective.«
»Er hat Elias oder diese Frau nicht umgebracht.«
»Im Moment ist das nur Ihre Meinung. Das einzige Faktum, das wir haben, ist, daß sich dieser Mann am Vorabend des Tages erschossen hat, an dem wir den ballistischen Untersuchungsbericht erhalten sollten. Und Sie, Detective, haben mich dazu überredet, ihn auf freien Fuß zu setzen, so daß er es tun konnte.«
Bosch sah von Irving weg und versuchte seinen wachsenden Ärger unter Kontrolle zu bekommen.
»Die Waffe«, fuhr Irving fort. »Eine alte Fünfundzwanziger Beretta. Die Seriennummer mit Säure weggeätzt. Herkunft nicht feststellbar, illegal. Eine Zweitwaffe. Ihre, Detective Bosch?«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Wirklich nicht, Detective? Ich würde das gern jetzt klären, ohne internes Ermittlungsverfahren.«
Bosch sah ihn wieder an.
»Was denken Sie sich eigentlich? Daß ich ihm die Waffe gegeben habe, damit er sich damit erschießen kann? Ich war sein Freund – der einzige Freund, den er
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