Schwarze Engel
eine Akte einzubehalten.«
Sie blies den Atem aus und wirkte plötzlich sehr müde.
»Alles in Ordnung?« fragte Bosch.
»Ja. Ich glaube, es hat mir gutgetan, mit etwas anderem beschäftigt zu sein. Dadurch hatte ich kaum Zeit, um nachzudenken. Heute nacht wird das allerdings sicher anders werden.«
Bosch nickte.
»Sind noch mehr Journalisten vorbeigekommen?«
»Ein paar. Ich habe ihnen ein paar unverbindliche Worte gesagt, worauf sie glücklich und zufrieden wieder abgezogen sind. Sie glauben alle, wegen dieser Geschichte wird es in der Stadt mächtig Ärger geben.«
»Und was glauben Sie?«
»Ich glaube, wenn es ein Cop war, kann kein Mensch sagen, was passieren wird. Und wenn es kein Cop war, wird es Leute geben, die es einfach nicht glauben werden. Aber das wissen Sie ja selbst.«
Bosch nickte.
»Eines sollten Sie über die Prozeßstrategie noch wissen.«
»Und das wäre?«
»Ungeachtet dessen, was Sie vorhin über Frank Sheehan gesagt haben, wollte Howard beweisen, daß Harris unschuldig ist.«
Bosch hob die Schultern.
»Ich dachte, er wurde bereits freigesprochen.«
»Nein. Er wurde für nicht schuldig befunden. Das ist nicht dasselbe. Howard wollte seine Unschuld beweisen, indem er den wahren Täter überführte.«
Bosch sah sie eine Weile an und überlegte, wie er weitermachen sollte.
»Steht in den Unterlagen hier, wer es war?«
»Nein. Wie gesagt, enthält dieser Ordner nur einen Entwurf des Eröffnungsplädoyers. Und darin deutet er an, daß er den Geschworenen sagen wollte, daß er ihnen den Mörder ausliefern würde. Das waren seine Worte. ›Ihnen den Mörder ausliefern.‹ Wer es war, hat er allerdings nicht aufgeschrieben. Es wäre ein schlechtes Eröffnungsplädoyer, wenn er es getan hätte. Damit hätte er es der Verteidigung verraten, und außerdem wäre dann schon die ganze Luft draußen gewesen, wenn er später im Prozeß damit herausgerückt wäre, wer der wahre Mörder war.«
Schweigend dachte Bosch eine Weile nach. Er wußte nicht, wieviel Gewicht er dem, was sie eben gesagt hatte, beimessen sollte. Bei Elias war immer sehr viel Show mit im Spiel gewesen, sowohl im Gerichtssaal wie in der Öffentlichkeit. Im Gerichtssaal einen Mörder zu überführen war typischer Perry-Mason-Kram. In der Wirklichkeit kam so etwas fast nie vor.
»Tut mir leid, aber das hätte ich Ihnen eigentlich gar nicht sagen dürfen«, sagte sie.
»Warum haben Sie es mir dann doch gesagt?«
»Weil es ein Motiv gewesen sein könnte, wenn jemand anders wußte, daß Howard das vorhatte.«
»Sie meinen, der wahre Mörder des kleinen Mädchens hat Elias umgebracht?«
»Das wäre zumindest eine Möglichkeit.«
Bosch nickte.
»Haben Sie die Zeugenaussagen gelesen?« fragte er.
»Nein, dafür reichte die Zeit nicht. Ich gebe Ihnen alle Zeugenaussagen, weil die Verteidigung – in diesem Fall das Büro des City Attorney – ohnehin Kopien davon erhalten hätte. Sie bekommen also nichts, wozu Sie nicht ohnehin Zugang erhalten hätten.«
»Was ist mit dem Computer?«
»Ich habe ihn flüchtig durchgesehen. Wie es scheint, enthält er nur Zeugenaussagen und andere Daten aus der öffentlich zugänglichen Akte. Nichts Vertrauliches.«
»Okay.«
Bosch stand auf. Er überlegte, wie oft er im Lift auf und ab fahren müßte, um die Akten zum Auto hinunterzuschaffen.
»Ach, noch etwas.«
Sie faßte in die Schachtel auf dem Boden, zog einen braunen Umschlag heraus und öffnete ihn auf dem Schreibtisch. Er enthielt zwei Briefkuverts. Bosch beugte sich über den Schreibtisch.
»Das hier war bei den Harris-Unterlagen. Ich weiß nicht, was es damit auf sich hat.«
Beide Kuverts waren an Elias in der Kanzlei adressiert. Kein Absender. Beide in Hollywood abgestempelt, einer vor fünf Wochen, der andere vor drei.
»In jedem ist ein Blatt Papier mit einer einzigen Zeile. Nichts, woraus ich schlau geworden wäre.«
Sie begann, eins der Kuverts zu öffnen.
»Äh …« , setzte Bosch an.
Sie hielt mit dem Kuvert in der Hand inne.
»Was?«
»Da waren vielleicht Fingerabdrücke drauf.«
»Ich habe die Kuverts aber bereits angefaßt. Entschuldigung.«
»Okay, dann machen Sie weiter.«
Sie öffnete den Umschlag, faltete das Blatt Papier auf dem Schreibtisch auseinander und drehte es so herum, daß Bosch es lesen konnte. Am oberen Rand der Seite stand eine maschinengeschriebene Zeile.
mach das tüpfelchen auf das i humbert humbert
»Humbert Humbert …« ,murmelte Bosch.
»Das ist der Name einer Figur aus
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