Schwarze Engel
seine Strategie im Fall Harris. Ich finde nicht, daß Sie die bekommen sollten. Meiner Meinung nach fällt das direkt unter das Anwaltsgeheimnis.«
»Und seine Strategie?«
»Im wesentlichen ist es eine Skizze des Prozeßverlaufs. Howard plante sein Vorgehen vor Gericht immer sehr gründlich. Er verriet mir mal, er wäre wie ein Football-Coach, der schon, bevor das eigentliche Spiel beginnt, die einzelnen Spielzüge und ihre Reihenfolge bis ins kleinste Detail festlegt. Howard wußte immer ganz genau, wie er bei einem Prozeß vorgehen wollte. Aus den Arbeitsunterlagen zu diesem Prozeß wird seine Taktik ganz deutlich ersichtlich: welchen Zeugen er wann aufrufen wollte, wann die einzelnen Beweisstücke ins Spiel gebracht werden sollten, Dinge in der Art. Für jeden Zeugen hatte er die ersten Fragen bereits aufgeschrieben. Auch einen Entwurf des Eröffnungsplädoyers hatte er in seinen Unterlagen.«
»Okay.«
»Diesen Ordner kann ich Ihnen nicht geben. Er enthält seine Prozeßstrategie, und ich glaube, der Anwalt, der den Fall bekommt, wird sie übernehmen. Es war ein genialer Plan. Deshalb sollte das LAPD diese Unterlagen nicht in die Hände bekommen.«
»Glauben Sie, er hätte gewonnen?«
»Auf jeden Fall. Sie sind davon offensichtlich nicht so überzeugt?«
Bosch setzte sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch. Obwohl er ein wenig geschlafen hatte, war er immer noch müde und fühlte sich auch so.
»Ich bin zwar nicht mit den Einzelheiten des Falls vertraut«, sagte er, »aber ich kenne Frankie Sheehan. Harris hat ihn verschiedener Dinge beschuldigt – Sie wissen schon, das mit der Plastiktüte. Aber ich weiß, so etwas ist nicht Frankies Art.«
»Wie wollen Sie da so sicher sein?«
»Na ja, ganz sicher kann man sich da natürlich nie sein. Aber wir kennen uns schon lange. Sheehan und ich waren mal Partner. Das ist zwar schon eine Weile her, aber irgendwann kennt man einen Menschen einfach. Ich kenne Frankie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er so was getan hat. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß er es jemand anderen hat tun lassen.«
»Menschen ändern sich.«
Bosch nickte.
»Sicher. Aber normalerweise nicht im Kern.«
»Im Kern?«
»Darf ich Ihnen dazu vielleicht eine Geschichte erzählen? Einmal haben Frankie und ich so einen jungen Burschen eingeliefert. Einen Carjacker. Er hatte folgende Masche: Erst knackt er einfach einen Wagen, irgendeine Rostlaube vom Straßenrand, und damit fährt er dann durch die Gegend und hält nach was Gescheitem Ausschau, nach einem Wagen, für den er eine hübsche Stange Geld bekommt. Sobald er was nach seinem Geschmack entdeckt hat, folgt er dem Wagen und fährt ihm an einer roten Ampel hinten rein. Nur eine kleine Beule in der Stoßstange, nichts Tragisches. Der Besitzer des Mercedes oder Porsche oder was auch immer steigt aus, um sich den Schaden anzusehen. Der Typ steigt ebenfalls aus, springt in den anderen Wagen und rauscht ab. Den Besitzer und die gestohlene Klapperkiste läßt er einfach stehen.«
»Ich weiß, Carjacking war mal der letzte Schrei.«
»Ja, prima Sache. Dieser Kerl hatte das schon drei Monate gemacht und eine Menge Geld damit verdient. Doch dann fährt er eines Tages einem Jaguar XJ6 zu fest hinten drauf. Die zierliche alte Dame am Steuer hat sich nicht angeschnallt. Sie wird mit ihren vierzig Kilo gegen das Lenkrad geschleudert. Mit voller Wucht. Kein Airbag. Ein Lungenflügel wird eingedrückt, der andere von einer Rippe durchbohrt. Sie sitzt also noch hinterm Steuer und verblutet innerlich, als der Junge ankommt, die Tür aufmacht und sie aus dem Auto zerrt. Er läßt sie auf der Straße liegen und fährt mit dem Jaguar weg.«
»An den Fall erinnere ich mich. Wann war das? Vor zehn Jahren? Die Medien waren richtig hysterisch.«
»Ja. Ein Carjackermord, einer der ersten. Jedenfalls wurden damals Frankie und ich auf den Fall angesetzt. Ganz schön brisante Sache, wir standen ziemlich unter Druck. Schließlich bekamen wir durch eine Hehlerwerkstatt, die die Jungs von Einbruch und Autodiebstahl unten im Valley ausgehoben hatten, einen Hinweis auf den Jungen. Er wohnte drüben in Venice, und als wir ihn abholen kamen, sah er uns. Feuerte mit einer Drei-Siebenundfünfziger durch die Tür, nachdem Frankie geklopft hatte. Verfehlte ihn nur ganz knapp. Damals hatte Frankie noch längere Haare. Die Kugel ging tatsächlich durch sein Haar. Der Junge verdrückte sich durch den Hinterausgang, und wir ihm hinterher – haben im
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