Schwarze Fluten - Roman
auszusteigen.«
»Aber möglich ist es schon?«
»Man kann die Steuerung so einstellen, dass die Chronosphäre in einem anderen Jahr stehen bleibt. Dann kann man aussteigen, um jeden beliebigen Punkt in der Vergangenheit zu erforschen. Aber das tut man nicht.«
»Wieso nicht?«
»Die Folgen von Zeitreisen sind unbekannt. Da ist es besser, kein Risiko einzugehen. Nach allem, was Nikola Tesla entdeckt hat, ist klar, dass man nichts an der Vergangenheit ändern kann, weil die feststeht. Durch das, was man dort tut, kann man also auch seine Zukunft nicht verändern. Was geschehen ist, wird geschehen. Jede Veränderung, die man dort vornimmt, wird wieder rückgängig gemacht vom … sagen wir, vom Schicksal. Aber die unbekannten Risiken sind trotzdem zu groß.«
Ich überwand endlich mein Zittern und setzte das neue Sägeblatt in die auf dem Armband entstandene Rille. »Trotzdem hat dein Vater die Maschine so verwendet«, sagte ich.
»Mich hatte er ja nicht töten wollen, nur meine Mutter. Sobald die Schüsse gefallen waren, überkam ihn einen Moment lang Reue.«
Ich begann zu sägen. »Und dann ist er in der Chronosphäre zu einem Punkt zurückgereist, bevor er dich getötet hat. Dort hat er angehalten.«
»Ja, gleich nachdem es geschehen war, ist er zurückgereist. Dann hat er schon im Stall gewartet, als meine Mutter mit mir dort ankam. Er hatte eine Pistole dabei und hat sie vor meinen Augen erschossen.«
Als der Junge vorher erzählt hatte, wie seine Mutter auf dem Pferd erschossen worden war, hatte er gesagt: Wie er meine Mutter getötet hat, habe ich da nicht gesehen …
Aber dafür später.
»Magic hat er nicht erschossen, nur sie. Aber als er gemeinsam mit mir wieder in die Gegenwart gereist ist, lag das Pferd immer noch tot auf dem Rasen. Meine Mutter auch. Und ich.«
Ich setzte die Säge ab.
Jedes Mal, wenn ich direkt in die unergründlichen Augen des Jungen sah, war ich bestürzt über seine tief verwundete Seele, die mich aus dem Gefängnis seines alterslosen Körpers anblickte. Dennoch war ich dazu gezwungen, damit er in meinen Augen sah, dass ich seine schreckliche Qual verstand, ohne dass ich darüber sprechen musste.
»Was geschehen ist, wird geschehen«, wiederholte ich seine Worte. »Dafür sorgt so etwas wie das Schicksal, sagst du.«
Indem er seinen Sohn aus der festgelegten Geschichte der Vergangenheit und damit aus der Zeit herausgeholt und in die Gegenwart gebracht hatte, hatte Constantine Cloyce ein Paradoxon erschaffen. Ich kannte Zeitparadoxa zwar aus Filmen und Büchern, aber keines wie dieses hier. Wenn ich zu viel darüber nachdachte, würde mein Verstand sich zu einem gordischen Knoten binden, der weder gelöst noch durchschlagen werden konnte.
»Sie haben die Leiche meiner Mutter in den Keller des Mausoleums geschafft«, sagte Timothy, »damit er sie immer anschauen konnte, wenn er wollte, aus Gründen, die nur sein krankes Hirn kennt. Sempiterno und Lolam – die damals noch Carlo Luca und James Durnan hießen – haben zusammen mit Chiang die ganze Nacht geschuftet, um das Pferd auf eine Wiese zu zerren und dort zu begraben.«
Ich machte mich wieder an die Arbeit. »Und deine Leiche?«, fragte ich ihn. »Ich meine … die Leiche von jenem anderen Timothy?«
»Die Kugel war wieder ausgetreten. Deshalb konnte man nicht sagen, mit welcher Waffe ich – er – erschossen worden war. Also haben sie die Leiche zum Wagen meiner Mutter getragen und auf den Beifahrersitz gesetzt. Glenda hat den Wagen auf der Küstenstraße weit nach Süden gefahren bis zu einem Parkplatz, wo es damals noch ganz einsam war. Sondra ist ihr mit einem anderen Wagen gefolgt. Sie haben Blut von meiner Mutter auf den Fahrersitz und den Boden geschmiert und den Wagen mit weit offenen Türen stehen lassen.«
»Ein gescheiterter Entführungsversuch?«
»Das sollte die Polizei vermuten.«
»Und dass die Entführer deine Mutter mitgeschleppt haben, aber dann ist sie gestorben, bevor man ein Lösegeld verlangen konnte?«
»So in der Richtung.«
»Und das hat man bei der Polizei geglaubt?«
»Mein Vater war ein sehr angesehener Mann. Außerdem konnte man gewisse Leute bei der Polizei damals kaufen, genauso wie man gewisse Leute noch heute kaufen kann. Er hat gewusst, wer infrage kam und wie man das anstellen muss.«
»Das hat bestimmt viel Staub aufgewirbelt.«
»Nicht so viel, wie du meinst. Denk dran, er hat viele Zeitungen besessen und deren Redaktionen angewiesen stillzuhalten. Außerdem hatte er
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