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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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sehr sie mich hasste, hielt ich die Beretta auf ihr Gesicht gerichtet, hörte mich jedoch sagen: »Also, ich hasse dich nicht. Vielleicht verachte ich dich. Vielleicht verabscheue ich dich. Vielleicht bist du mir zuwider, aber hassen tue ich dich nicht.«
    Sie nannte mich einen verfluchten Lügner. »Hass regiert die Welt«, sagte sie. »Neid, Gier und Hass.«
    »Ich habe aufgehört zu hassen, als mir klar wurde, dass Hass mir nichts von dem, was ich verloren habe, zurückbringen kann.«
    »Neid, Gier und Hass«, wiederholte sie. »Gier nach Sex, Macht, Kontrolle, Rache .«
    »Tja, ich bin eben bloß ein simpler Ticker mit einer simplen Philosophie«, sagte ich, und da fiel mir plötzlich etwas ein, was ihr im Heizungsraum entfahren war, wenn sie mir nicht gerade ins Gesicht gespuckt hatte. »Ihr ertragt der Zeiten Spott und G eißel, aber das tun wir nicht und werden es nie tun«, zitierte ich sie.
    »Das war auch so, bis du alles ruiniert hast!«, keifte sie und drehte die Mündung der Pistole so am Hals des Jungen hin und her, dass das Korn des Visiers ihm die Haut aufriss.
    Timothy wimmerte, während ein dünner Blutfaden an seinem Hals herunterlief.
    »Shakespeare«, sagte ich. »›Denn wer ertrüg’ der Zeiten Spott und Geißel‹, heißt es eigentlich. In Hamlet .«
    »Du hast wirklich keine Ahnung. Das soll von Shakespeare sein? Das ist von Constantine. Von meinem Constantine.«
    Ich erinnerte sie an etwas anderes, das sie zitiert hatte: »›Eure Gedanken sind Sklaven eines Narren, aber das werden unsere niemals sein.‹ Ich glaube, das ist aus dem ersten Teil von König Heinrich IV . Es heißt eigentlich … ›Doch ist der Sinn des Lebens Sklav’, das Leben der Narr der Zeit.‹«
    Sie machte den Eindruck, als könnte ihr verächtlicher Blick mich zum Bluten bringen, wie es ihre Pistole bei dem Jungen getan hatte. »Was soll das eigentlich, du kleiner Scheißer? Versuchst du etwa, mich reinzulegen? Ein ahnungsloser Ticker wie du?«
    »Du hast mir gesagt, die Frauen, die er getötet hat, wären bloß Tiere gewesen, wandelnde Schattenbilder, arme Komödianten, deren Leben nichts bedeutet hätte.«
    »Genauso, wie dein Leben nichts bedeutet. Constantines Wahrheit tut dir weh, nicht wahr? Ist doch so, oder? «
    » Macbeth «, sagte ich. »›Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild, ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht sein Stündchen auf der Bühn’ und dann nicht mehr vernommen wird.‹«
    Constantine, der Anführer ihrer Sekte und der Poet ihres dunklen Herzens, war gar kein Poet, sondern ein Plagiator, der sich seine Sprüche ausgerechnet von Shakespeare borgte. Das Funkeln in Victorias blassblauen Augen wurde zu einem scharfen Glitzern. Wenn die Poesie ihres Idols geklaut war, und nicht nur das, sondern auch noch zu einem üblen Zweck verzerrt, dann war vielleicht auch die Weisheit dieser Philosophie, dieser wahnwitzigen Vorstellung einer irdischen Unsterblichkeit eine Fälschung. Darüber wagte Victoria jedoch in dieser späten Stunde der Geschichte von Roseland nicht einmal nachzudenken, und weil ich ihre Illusion infrage stellte, hasste sie mich noch mehr.
    Ich ließ den nächsten Satz des Zitats aus Macbeth folgen, um sie weiter unter Druck zu setzen: »›Ein Märchen ist’s, erzählt von einem Blödling, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet.‹«
    Um meinem Freund Ozzie Boone und mir selbst eine Freude zu machen, habe ich alle Stücke von Shakespeare gelesen, viele mehr als einmal, und mir dabei so manchen Vers eingeprägt. Ich bin allerdings kein passionierter Wissenschaftler mit einem fotografischen Gedächtnis. Die einzelnen Verse kamen mir in den Sinn, weil ich mich dem freien Strom der Worte überließ, so wie ein Medium mit Papier und Bleistift automatisch lange Botschaften niederschreibt, die nicht aus seinem eigenen Denken stammen. Ich war ebenso überrascht wie Victoria, als ich hörte, wie die Zitate aus mir heraussprudelten.
    »Du hast gesagt, noch in dieser Stunde würde der Fuß auf meinem Nacken sein«, erinnerte ich sie. »Der ›unhörbare, leise Fuß‹, hast du gesagt. Das ist aus Ende gut, alles gut . ›Der unhörbare, leise Fuß der Zeit.‹«
    Sie forderte mich auf, meine verfluchte Schnauze zu halten.
    Stattdessen präsentierte ich ihr ein weiteres Zitat von Shakespeare, in dem es ebenfalls um die Zeit ging, das sie mir im Heizungsraum jedoch nicht unter die Nase gerieben hatte: »›Und so von Stund’ zu Stunde reifen wir, und so von Stund’ zu Stunde

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