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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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ich auf dem Kupferboden hoch oben im Turm wieder aufwachte, war ich einen Moment lang nicht sicher, wie ich dorthin gekommen war. Doch dann erinnerte ich mich an Wolflaw … nein, Cloyce. Constantine Cloyce. An seine Augen, so grau wie gebürsteter Stahl, sein vorgeschobenes Kinoheldenkinn, seine zusammengebissenen Zähne, seinen kleinen volllippigen Mund, der sich zu einem verächtlichen Grinsen zusammenzog, während er mich mit dem Kolben der Schrotflinte schachmatt setzte.
    Mein Gesicht tat weh. Ich schmeckte Blut und sah alles nur verschwommen. Als ich ein paarmal rasch blinzelte, sah ich auch nicht besser, aber dafür entstand bei jedem Blinzeln ein schmerzhaftes Pochen in meinem Kopf.
    Ich hörte Cloyce leise singen. Zuerst konnte ich die Melodie nicht identifizieren, aber dann erkannte ich, dass es sich um einen Evergreen handelte, um Cole Porters »Let’s Misbehave«.
    Ich vermied es, mich zu bewegen, um ihn nicht auf mich aufmerksam zu machen, bevor ich gut genug sehen konnte, um mich zu verteidigen. Deshalb blieb ich erst einmal eine Weile mit nach rechts gedrehtem Kopf auf dem Bauch liegen, bis der Nebel sich hob.
    Auf dem Boden lag das in einen Gefrierbeutel gewickelte Geldbündel, etwa einen halben Meter von mir entfernt. Egal, wie viel mein erbärmlicher Schatz wert war, damit konnte ich mir von einem Mörder, der Milliardär war, nicht das Leben erkaufen.
    Hinter dem Geldbündel: die Chronosphäre. Die Arme ihrer inneren Aufhängung beschrieben eine liegende Acht nach der anderen, während sie sich auf unerklärliche Weise unablässig bewegten. Nirgendwo waren die Füße von Cloyce zu sehen, und in dem goldenen Licht, das gleichmäßig jeden Quadratzentimeter des Raums erhellte, warf mein Feind keinen verräterischen Schatten.
    Mein rechter Arm lag unter meinem Körper. Als ich die Finger seiner Hand bewegte, spürte ich das Leder des Pistolenholsters. Langsam und ohne ein anderes Körperteil zu bewegen, ließ ich die Hand zu der Beretta kriechen – und stellte fest, dass man sie mir weggenommen hatte.
    Zwischen mir und dem Geldbündel lag ein Zahn auf dem Boden. Ich suchte mit der Zunge meinen Mund ab und fand nicht ein Loch, sondern zwei. In meiner Kehle sammelte sich Blut, bei dessen Geschmack mir allmählich übel wurde.
    Der Stimme nach zu urteilen, befand Cloyce sich hinter mir, mehrere Schritte entfernt.
    Ohne Waffe blieb mir nur die Hoffnung, schnell aufspringen und von ihm wegrennen zu können. Dabei musste ich darauf achten, dass die Chronosphäre zwischen uns blieb und mich schützte, bis ich entweder zur Kupfertür oder zu der stählernen Wendeltreppe gelangte.
    Ich drückte mich hoch, schaffte es aber nur auf Hände und Knie, dann zwangen mich die Schmerzen und ein heftiges Schwindelgefühl innezuhalten. Cloyce trat nach meinem linken Arm, worauf ich wieder auf den Bauch fiel.
    Nun sang er leise einen anderen Song von Cole Porter: »I Get a Kick Out of You.«
    Die Wahl des Titels bereitete mich darauf vor, was als Nächstes kam, aber ich hatte keine Möglichkeiten, dem zu entkommen. Er kickte mich in die Hüfte, in die linke Seite, noch einmal in dieselbe Seite, und ich spürte, wie eine Rippe knackste.
    Er setzte mir unsanft einen Stiefel auf den Rücken und verlagerte sein Gewicht darauf. Die gebrochene Rippe schien Feuer zu fangen und mir das Fleisch zu verbrennen.
    Nun verstand ich meinen Traum:
    Wenn die Nazis ihre Opfer ermordeten, dann wollten sie sie zweimal töten. Das hoffen alle Tyrannen, ob sie nun mit der Macht des Staates ausgestattet sind wie Hitler oder mit geringerer Macht wie Cloyce. Eine rein physische Zerstörung befriedigt sie nicht. Sie erzeugen Furcht, um das Gemüt verdorren zu lassen, pausenlose Propaganda und grausamen Spott, um zu verwirren, Folter und Zwangsarbeit, um mehr als nur den Körper zu brechen. Sie wollen ihr Opfer auf den Zustand eines verängstigten Tiers reduzieren, auf einen Zustand, in dem es jeden Glauben verloren hat, in dem es seine Erniedrigung als verdient annimmt und in einer derartigen Depression versinkt, dass es jede Hoffnung aufgibt, es könnte Gerechtigkeit, Wahrheit und Sinn geben. Erst nachdem sie auf diese Weise die Seele getötet haben, sind sie bereit, den Körper zu töten, und wenn sie mit ihrer Strategie erfolgreich waren, dann ergibt sich das Opfer widerstandslos in seinen zweiten – körperlichen – Tod. Wenn solche teuflischen Gestalten stärker an die Kraft des Bösen glauben als ihre Opfer an die Realität und die Kraft

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