Schwarze Fluten - Roman
der Ankunft von ein paar übergeschnappten Schweinen, die bei der Gartenparty ausnahmsweise selbst grillen wollten, statt als Grillgut zu dienen.
»Wir müssen nach oben gehen«, sagte ich. »Der einzige Ausweg ist der Tunnel, durch den Tim und ich gekommen sind.«
»Geh schon mal los, junger Mann. Wir folgen dir, sobald wir hier fertig sind.«
Ich hütete mich davor, weiter Druck auf Annamaria auszuüben. Sie hätte sonst auf jedes meiner Argumente entweder mit einer beruhigenden Bemerkung reagiert oder mit einem geheimnisvollen Spruch, den ich erst in drei Jahren verstanden hätte. Falls überhaupt.
»Na gut«, sagte ich. »Schön, gut, okay, ich gehe nach oben und warte da einfach auf euch, auf die Biester, auf ein Geisterpferd, auf eine Blaskapelle oder was auch immer. Egal, was kommen wird, ich warte einfach darauf.«
»Gut«, sagte Annamaria und wandte sich wieder ihrem Gespräch mit Timothy zu.
Ich verließ ihr Apartment, zog die Tür zu und lief die Treppe hinab statt hinauf. In dem Vorraum zwischen der Turmtür und der zu meiner Wohnung hörte ich draußen die Biester rumoren. Dabei gaben sie allerhand schweinische Geräusche von sich, aber auch solche, die so menschlich klangen, dass es mich eiskalt überlief. Offenbar putschten sie sich gegenseitig auf wie die Mitglieder einer Fußballmannschaft beim Elfmeterschießen.
In meinem Schlafzimmer ging ich zum Schrank, um aus dem obersten Fach den in einen Gefrierbeutel verpackten Stapel Geldscheine zu nehmen, den mir mein früherer Arbeitgeber Hutch Hutchison vor meiner Abreise aus Magic Beach geschenkt hatte. Wenn ich Roseland für immer abgeschaltet hatte und mit Annamaria floh, dann brauchten wir ein wenig Cash.
Während meiner Wochen in Magic Beach hatte ich für Mr. Hutchison, einen früheren Filmschauspieler, nicht nur gearbeitet, sondern auch Freundschaft mit ihm geschlossen. Ich hatte das Geld gar nicht annehmen wollen, doch er hatte so freundlich und liebenswürdig darauf bestanden, dass es eine üble Beleidigung bedeutet hätte, es noch einmal abzulehnen.
Als Mr. Hutchison neun Jahre alt gewesen war, waren durch die Weltwirtschaftskrise viele Banken zusammengebrochen. Aus diesem Grund vertraute er solchen Institutionen nicht. Stattdessen verstecke er stapelweise Bargeld in seinem Gefrierschrank, fest eingewickelt in weiße Gefrierbeutel und versiegelt mit Paketband.
Jeder Gefrierbeutel war mit einem Codewort versehen. Wenn auf dem Etikett Rinderzunge stand, dann enthielt der Beutel ausschließlich Zwanzigdollarscheine. Stand Kalbsbries darauf, so waren je zur Hälfte Zwanziger und Hunderter darin. Als Hutch mir einen solchen Packen in einem rosa Geschenkbeutel mit gelben Vögelchen darauf überreicht hatte, da hatte er mir nicht verraten, was der Code auf dem Etikett bedeutete, und bisher hatte ich nicht nachgeschaut.
Selbst das Codewort hatte ich vergessen. Als ich den Beutel in der Hand hielt, sah ich, dass Schweineschwarte darauf stand. Im Mittelpunkt des Universums saß definitiv jemand, der Sinn für Humor hatte.
Das Geschenk von Mr. Hutchison in der Hand, verließ ich mein Apartment und schloss die Tür ab.
Die Biester hatten immer noch nicht angefangen, auf die Turmtür einzuhacken.
An Annamarias Räumen vorbei hastete ich die Wendeltreppe hinauf ins oberste Geschoss und ging dort durch die Tür, in deren Schloss ich die zwei Dollarscheine gestopft hatte.
Als ich vor der Chronosphäre stand, trat Constantine Cloyce hinter der Tür hervor und hieb mir mit aller Kraft den Kolben seiner Schrotflinte ins Gesicht.
50
Ich war wieder in Auschwitz und hatte furchtbare Angst, zweimal zu sterben. Wieder grub ich nicht schnell genug, um den Wachposten zufriedenzustellen. Er trat einmal, zweimal, dreimal auf mich ein. Die Stahlkappe seines Stiefels ritzte mir die linke Wange auf. Aus meiner Wunde floss jedoch kein Blut, sondern puderige graue Asche, und während die Asche herausströmte, spürte ich, wie mein Gesicht langsam in sich zusammenfiel, als wäre ich kein echter Mensch gewesen, sondern nur die aufblasbare Hülle eines Menschen. Diesen hohlen Menschen hatte man offenbar mit Stroh ausgestopft, das sich in Ruß und Asche verwandelt hatte, ohne dass dies mir bewusst geworden wäre. Auf dem Boden, in dem ich mit unzureichender Geschwindigkeit grub, erschien ein Stuhl, auf dem der Dichter T. S. Eliot saß und mir zwei Verse aus einem seiner Gedichte vorlas: »So endet die Welt. Nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern.«
Als
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