Schwarze Fluten - Roman
nicht nur .
Ich bin eben nicht nur ein hübsches, sondern auch ein ausgesprochen argwöhnisches Jüngelchen. Und selbst wenn ich dick zu nennen wäre, dann bestimmt nicht automatisch auch dämlich.
Meine kleine Pause war sehr nützlich gewesen. Ich setzte meine Fahrt durch das Tälchen fort und suchte nach einer Stelle, an der ich den Hang erklimmen konnte.
Plötzlich stand jemand zehn Meter vor mir. Ich hätte einfach durch ihn hindurchfahren können, doch ich bremste und hielt an.
Gekleidet in einen Anzug mit Weste und Krawatte, stand er im hohen Gras und betrachtete mich mit der ausdruckslosen Miene, für die er einst so berühmt gewesen war.
Er war korpulent, hatte ein rundes Gesicht, volle Wangen und ein Doppelkinn, war jedoch nicht so korpulent wie Mr. Shilshom. Im Gegensatz zu diesem war er zu seiner Statur nicht durch unmäßiges Schlemmen gekommen, sondern durch seine Erbanlagen. Schon als kleines Kind war er stämmig gewesen. Seine Unterlippe ragte weit über die Oberlippe hinaus, als würde er nachdenken, wie am besten mit einer problematischen Person umzugehen wäre, die er loswerden, aber nicht kränken wollte.
»Das ist kein guter Augenblick«, sagte ich zu ihm. »Ich habe zu viel um die Ohren. Es reicht mir wirklich dicke. Tut mir leid, normalerweise gebe ich keine solchen abgedroschenen Phrasen von mir, und ich wollte auch nicht auf Ihr Gewicht anspielen. Ich bin einfach extrem beschäftigt. Noch eine Komplikation kann ich da nicht gebrauchen.«
Unter den auf Erden verweilenden Toten, die mich um Hilfe gebeten haben, waren einige Berühmtheiten der Unterhaltungsbranche. Auch wenn man es nicht meinen sollte, wenn man sieht, wie die Welt des Showgeschäfts im Fernsehen und im Internet durchgehechelt wird, haben Prominente durchaus eine Seele.
In den ersten drei Teilen meiner Memoiren habe ich über meine ziemlich lange Beziehung zu dem Geist von Mr. Elvis Presley berichtet. Der ist mir zum ersten Mal erschienen, als ich noch in der Highschool war, und dann sind wir eine Weile miteinander herumgezogen. Aus Gründen, die er mir lange nicht verraten hat, zögerte der King of Rock ’n’ Roll, ins Jenseits weiterzuziehen, obwohl er eigentlich gern dorthin wollte. Das lag nicht etwa daran, dass er Angst gehabt hätte, im nächsten Leben würde es kein frittiertes Sandwich mit Erdnussbutter und Banane geben. Schließlich habe ich ihm geholfen, den Übergang doch noch zu schaffen.
Dann kam Mr. Frank Sinatra. Dessen Geist hat mich zwar nur einige Wochen lang begleitet, doch das war eine denkwürdige Zeit. Wie früher im Leben, so konnte Mr. Sinatra auch als Poltergeist ganz schön auf den Putz hauen, wenn ich Unterstützung brauchte.
Ich weiß nicht, wieso, aber ich hatte angenommen, wenn mich noch einmal der Geist einer berühmten Persönlichkeit aufsuchen würde, dann müsste das wieder ein Sänger sein.
Der Gentleman im Anzug ging zur Beifahrerseite des Gartenmobils. Er besaß eine ungewöhnliche Autorität, denn die war in keiner Weise streng oder überheblich, sondern mit einem Anflug von Charme gewürzt.
»Sir, ich fühle mich geehrt, dass Sie meine Unterstützung in Anspruch nehmen wollen. Ich gehöre zu Ihren Bewunderern. Wenn ich das hier überlebe, werde ich für Sie tun, was ich tun kann. Aber, wissen Sie, in Roseland geht so viel vor sich, dass mir der Kopf platzen wird, wenn ich an noch mehr denken muss!«
Er legte die Hände an den Kopf und breitete dann mit gespreizten Fingern die Arme aus, um zu demonstrieren, welche Folgen ein platzender Schädel hatte.
»Ja, genau. Es tut mir wirklich leid. Einem Geist in Not sollte man nie etwas abschlagen. Das ist jedenfalls mein Motto. Gut, mein Motto ist es nicht, aber ein Prinzip von mir. Ich habe kein Motto. Außer vielleicht: ›Wenn man’s futtern kann, dann kann man es auch braten.‹ Ich bin ganz schön am Plappern, nicht wahr? Das liegt daran, dass ich so ein Fan von Ihnen bin. Ehrlich! Na, wahrscheinlich hören Sie das die ganze Zeit. Oder Sie haben es gehört, als Sie noch am Leben waren. Seit Sie tot sind, hören Sie es wohl nicht mehr ganz so oft.«
Die heikle Situation war nicht der Hauptgrund für mein nervöses Geplapper. Auch die Tatsache, dass ich das Werk meines Gegenübers tatsächlich bewunderte, brachte mich nicht so durcheinander. Beides waren Gründe, aber außerdem war ich eingeschüchtert von der besagten ausdruckslosen Miene, die darauf hinwies, dass der Geist geduldig warten würde, bis mein Widerstand erlahmte.
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