Schwarze Fluten - Roman
umgab. Aus der Entfernung sah ich, dass die Fenster und Türen noch immer von Stahlplatten geschützt waren.
Um eine Hecke des Hauses kam eine bunt gemischte Meute von Biestern in blinder Zerstörungswut, weil man sie nicht zum Essen hereingebeten hatte. Sie warfen die Gartenmöbel auf der Terrasse um und hämmerten an die Stahlplatten.
Ich zog mich wieder bis zur Statue von Enkelados zurück, sodass die in der Zeit erstarrten Eichen mich vor Blicken schützten. Neben dem Giganten stehend, versuchte ich, mich mit der Theorie anzufreunden, dass Roseland keine Zeitmaschine darstellte. So simpel war die Sache nicht. Es handelte sich offenbar um eine Maschine, die die Zeit manipulieren konnte, indem sie deren Wirkungen umkehrte oder verzögerte und dadurch den sonst unvermeidlichen Verfall aller Dinge, wie er der Natur entsprach, verhinderte.
Im Haupthaus wie im Gästeturm sah alles makellos und nagelneu aus, als würde nie etwas verschleißen, in die Brüche gehen oder Staub verursachen. Das Holz von Parkett und Treppen gab keinerlei Ächzen von sich, Marmor und Kalkstein wiesen keine Risse auf.
Die Küchengeräte waren zwar neu, aber wahrscheinlich nicht deshalb, weil die aus den 1920er Jahren nicht mehr funktionierten, sondern weil moderne Herde und Kühlschränke praktischer waren als die alten Modelle.
Ich hob den Kopf. Wie aus dem Nichts tauchten über den Bäumen am Ende der Rasenfläche hundert oder mehr der riesigen Fledermäuse auf. Sie flogen in so enger Formation auf mich zu, dass sie aussahen wie eine feste Masse, die immer tiefer herabsank, bis sie kaum einen Meter über dem Boden anrollte, eine Welle aus Fledermäusen im hellen Tageslicht.
Mein Fluchtimpuls zerbrach an der Erkenntnis, dass ich mich nicht einmal halb so schnell bewegen konnte wie der Schwarm. Vielleicht sahen die Dinger am Tag nicht besonders gut, sondern spürten ihre Beute mit ihrem Geruchssinn auf. Außerdem orientierten Fledermäuse sich per Ultraschall, weshalb es womöglich klüger war, mich überhaupt nicht zu bewegen. Die riesige Bleiskulptur, in deren Schatten ich stand, schützte mich eventuell vor der Entdeckung.
Vielleicht, womöglich, eventuell – mit solchen windigen Vokabeln stand ich gelähmt da und hoffte, nicht lebendig verschlungen zu werden.
Die Flügel schlugen gleichzeitig so rasch, dass ihr Trommeln fast zu einem Summen wurde, und der orchestrierte Flug war ebenso eindrucksvoll wie furchterregend. Während die Tiere immer näher kamen, sah ich Köpfe, groß wie Grapefruits, spitze Kiefer und offene Mäuler mit gekrümmten Eckzähnen. Die flachen Nasen waren zweifellos in der Lage, in der Luft den Geruch von Blut, Schweiß und winzigen Hautschuppen wahrzunehmen. Und von Angstpheromonen.
Ich konnte nicht mehr atmen, als sie so tief an mir vorüberrauschten, dass ich das weiche braune Fell auf ihren Körpern und den Membranen ihrer Flügel sah. Noch im Vorbeiflug verschwanden sie in der plötzlich schimmernden Luft wie durch einen Vorhang zwischen meiner Zeit und der ihren.
Zittrig vor Erleichterung, erklomm ich das Granitpodest, auf dem der riesige Gigant stand. Ich lehnte mich mit dem Rücken an seine linke Wade und zog die Knie an, sodass sich meine Schuhe an seinen rechten Fuß drückten. Obwohl ich nicht wusste, ob das Blei, aus dem er gegossen war, mir irgendwelchen Schutz geboten hatte, fühlte ich mich dank meines hartnäckigen Optimismus sicher.
Während mein Herzschlag sich beruhigte, brütete ich wieder über Roseland nach. Über die vergangene, die gegenwärtige, die zukünftige Zeit …
Der Stillstand, der am gepflegten Teil des Gartens, am Haus und an den Möbeln in dessen Räumen erkennbar war, erstreckte sich offenbar nicht auf weniger stark an einem Ort fixierte Gegenstände wie Bettlaken, Backformen und Besteck. Bettzeug und Kleidung wuschen sich nicht selbst, wie die Eiche ihren abgebrochenen Zweig repariert hatte, und schmutziges Geschirr kehrte nicht zu einem Zeitpunkt zurück, an dem es sauber gewesen war. Die starke Strömung, die sich durch das Gebäude bewegte – nennen wir sie den Methusalemstrom – , floss auch durch alles, was auf dem Boden stand und an der Wand hing, war jedoch offenbar nicht in der Lage, in kleinere, weniger stationäre Dinge einzudringen und sie immer im selben Zustand zu erhalten.
Aber was war mit den Menschen, die hier lebten?
In Kennys düsterer und turbulenter Zukunft nannte der Besitzer von Roseland sich Constantine Cloyce, vielleicht weil es für ihn
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