Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
Vom Netzwerk:
vor, immer auf der Hut vor weiteren Mitgliedern des Keilerclans. Mein Ziel war die Statue von Enkelados, dem Giganten. Von dort aus stieß ich in das Eichenwäldchen vor, das die Rasenfläche umrahmte. Wie zuvor lag kein einziges herabgefallenes Blatt unter den Bäumen.
    Ich legte den Kissenbezug auf den Boden, trat zu einem niedrigen Ast und wählte einen Zweig mit drei Blättern aus. Den brach ich ab und ließ ihn fallen.
    Wie in einem Zeitraffervideo, das mehrere Wochen Wachstum zusammenfasste, spross aus dem Baum an derselben Stelle ein neuer Zweig und bekam exakt dieselben Blätter. In weniger als einer Minute war der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt.
    Als ich mich auf dem Boden nach dem Zweig umschaute, den ich weggeworfen hatte, war er nicht mehr da.
    Da bekam ich nun mit bald zweiundzwanzig Jahren endlich mein eigenes Spukhaus, auf das ich ausgesprochen gut vorbereitet war. Es war ein Landhaus wie in Das Durchdrehen der Schraube von Henry James, es hatte eine perverse Vergangenheit wie Das Höllenhaus von Richard Matheson, es beherbergte Leute, die hätten tot sein sollen, es aber nicht waren wie in Der Untergang des Hauses Usher von Edgar Allan Poe, und es war ein gefährdetes Kind darin gefangen wie im ersten Poltergeist -Film. Der einzige Geist in Roseland war allerdings die Reiterin des Geisterhengstes, und die war weder bedrohlich noch im Zentrum des Problems, das ich nun als inoffizieller Exorzist lösen musste.
    Statt wild umhertobenden Poltergeistern und Phantomen aus dem Grab, mit denen ich wahrscheinlich leicht fertig geworden wäre, hatte ich es mit einer Bedrohung durch Schweinedinger, kosmische Uhrwerke, einen komplett wahnsinnigen Hedgefonds-Manager – noch nicht Filmmogul – und den Jüngern zu tun, die er in seinen Bann gezogen hatte. Die Macht, die er besaß, hatte er womöglich ungewollt von dem großen Nikola Tesla erhalten, der – bereits lange tot und doch kein Geist – wie eine immaterielle Flipperkugel immer wieder durch die Szene zuckte, mir sagte, er habe mich gesehen, wo ich nicht gewesen sei, und mich aufforderte, den Hauptschalter umzulegen, wo immer der sich befinden mochte.
    An manchen Tagen will ich einfach wieder ins Bett gehen und mir die Decke über den Kopf ziehen.
    Stattdessen brach ich denselben Zweig wie vorher noch einmal ab und legte ihn in meine geöffnete linke Hand. Innerhalb einer Minute »reparierte« der Baum sich selbst, und der Zweig verschwand, obwohl ich im letzten Moment die Faust darum schloss.
    Kein Wunder, dass Roseland keine Heerschar von Gärtnern brauchte. In dem gärtnerisch gestalteten Teil des Anwesens, nicht jedoch auf den naturbelassenen Wiesen und Hügeln, befanden Bäume, Sträucher, Blumen und Gras sich in einer Art Stillstand. Statt zu wachsen und abzusterben, wurden sie irgendwie in genau demselben Zustand erhalten, in dem sie seit … tja, vielleicht seit einem Tag in den frühen 1920er Jahren verharrten.
    Die Bewohner von Roseland waren hingegen nicht außerhalb der Zeit. Auch die Uhren tickten noch, und die Stunden vergingen. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang kamen und gingen. Das Wetter wechselte ebenso wie die Jahreszeiten. Innerhalb der Mauer stand die Zeit nicht still.
    Offenbar wurde irgendeine exotische Energie in jeden Baum übertragen, in seine Wurzeln und seinen Stamm, in jeden Ast und jedes Blatt, in jeden Grashalm und jede Blume, und dadurch blieb alles so, wie es gewesen war. Wenn der Wind ein paar Blätter von den Bäumen riss, wuchsen neue, während die alten Blätter auf den Boden fielen und sich in Luft auflösten. Vielleicht waren die neuen Blätter aber auch die alten, und jede beschädigte Pflanze – nicht jedoch ihre Umgebung – glitt zeitlich zu dem Punkt direkt vor dem Moment zurück, in dem die Beschädigung stattgefunden hatte, um anschließend in die Gegenwart zurückzukehren.
    Hätte ich ein Loch im Boden gegraben, so hätte ich wahrscheinlich ein Metallgeflecht oder dieselben Kupferstäbe vorgefunden, wie sie im Fundament aller Gebäude eingebettet waren. Plötzlich wusste ich, was die lang gestreckte Acht darstellte, wenn man sie horizontal statt vertikal las: Es war das Symbol für die Unendlichkeit.
    Mir wurde schwindlig. Deshalb wünschte ich mir, ich wäre so gut im Nicht-Nachdenken gewesen, wie Kenny es von sich behauptete.
    Ich ging zu der makellosen Grasfläche zurück, auf der Enkelados die Faust hob, um die Götter herauszufordern, und folgte ihr bis zu dem riesigen Rasen, der das Haupthaus

Weitere Kostenlose Bücher